Dipl.-Finanzwirt (FH) Willi Dittmann
Rz. 653
[Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte → Zeilen 31–38, eZeile 39]
Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte werden im Regelfall nicht in tatsächlicher Höhe berücksichtigt, sondern sind (nur) über eine Entfernungspauschale abgegolten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG). Ausnahmeregelungen gelten für behinderte Menschen (→ Tz 668) und bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel (→ Tz 663). Zur Entfernungspauschale: BMF, Schreiben v. 31.10.2013, IV C 5 – S 2351/09/10002:001, BStBl 2013 I S. 1376, zum Begriff erste Tätigkeitsstätte und Auswärtstätigkeit: BMF, Schreiben v. 25.11.2020, IV C 5 – S 2353/19/10011:006, BStBl 2020 I S. 1228).
Besondere Bestimmungen für Auswärtstätigkeiten
Die folgenden Ausführungen gelten grds. nur für Arbeitnehmer, die eine erste Tätigkeitsstätte haben und nur, soweit sie an dieser Stelle tätig werden. Ansonsten handelt es sich begrifflich um "Auswärtstätigkeiten", bei denen ein höherer (Reise-)Kostenabzug möglich ist (→ Tz 704).
Rz. 654
Begriff "erste Tätigkeitsstätte"
Eine erste Tätigkeitsstätte (§ 9 Abs. 4 Satz 1 EStG) erfordert stets eine ortsfeste betriebliche Einrichtung. Fahrzeuge (Linien-, Fernbusse, Züge, Straßenbahnen, Lkw etc.). Schiffe oder Tätigkeitsgebiete ohne ortsfeste betriebliche Einrichtungen können keine erste Tätigkeitsstätte sein. Der Arbeitnehmer kann je Dienstverhältnis höchstens eine erste Tätigkeitsstätte haben, ggf. aber auch nur auswärtige Tätigkeitsstätten. Weitere Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer dieser Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet ist und dort seine Tätigkeit ausübt. Nicht erforderlich ist, dass er dort den dauerhaften Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit hat. Es muss sich auch nicht zwingend um eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handeln. Möglich ist eine erste Tätigkeitsstätte auch bei einem verbundenen Unternehmen (§ 15 AktG; Tochterfirma, Outsourcing) oder in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung eines Dritten (z. B. Kunden des Arbeitgebers). Dies hat gravierende Folgen z. B. bei Zeitarbeitnehmern. Häusliche Arbeitszimmer oder ein Homeoffice sind keine erste Tätigkeitsstätte.
Die Beurteilung erfolgt nach folgenden im EStG genannten Grundsätzen:
- Die dauerhafte Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung und damit die Festlegung der ersten Tätigkeitsstätte erfolgt durch den Arbeitgeber und muss dokumentiert werden (z. B. durch eine entsprechende Regelung im Arbeits-, im Tarifvertrag oder in dienstrechtlichen Verfügungen). Ausreichend sind aber auch Reisekostenabrechnungen oder der Ansatz eines geldwerten Vorteils für die Nutzung eines Dienstwagens für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte. Diese Festlegungen sind steuerlich grds. bindend, vorausgesetzt, der Arbeitnehmer wird an dieser Einrichtung mindestens in (ganz) geringem Umfang (Hilfstätigkeiten, Besprechungen, Abrechnungen) tatsächlich tätig.
Von einer dauerhaften Zuordnung ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an dieser Einrichtung tätig werden soll. Eine Zuordnung ist unbefristet, wenn sie "bis auf weiteres" erfolgt, also die Dauer der Zuordnung nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt. Ohne Bedeutung ist, dass der Arbeitnehmer (z. B. Beamter) jederzeit an eine andere Tätigkeitsstätte versetzt werden könnte (BFH, Urteil v. 4.4.2019, VI R 27/17, BFH/NV 2019 S. 944; BFH, Urteil v. 14.4.2019, VI R 6/17, BFH/NV 2019 S. 947).
- Gibt es keine arbeitsvertragliche Regelung bzw. Zuordnung durch den Arbeitgeber oder ist sie nicht eindeutig, gelten zeitliche Kriterien. Soll der Arbeitnehmer an einer ortsfesten Einrichtung arbeitstäglich seine typische Arbeitsleistung, wenn auch nur einen Teil des Tages, erbringen oder dort je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens 1/3 der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden, befindet sich dort seine erste Tätigkeitsstätte. Ob bezüglich der Frage der typischerweise arbeitstäglich aufzusuchenden Tätigkeitsstätte das Aufsuchen des Orts an allen Tagen im Jahr stattfinden muss, muss der BFH klären (Az. beim BFH VI R 6/19, Vorinstanz: Thüringer FG, Urteil v. 5.12.2018, 1 K 594/16, EFG 2019 S. 261).
- Sind die zeitlichen Voraussetzungen für mehrere Tätigkeitsstätten erfüllt, bestimmt der Arbeitgeber die erste Tätigkeitsstätte. Fehlt es an einer Zuordnung, ist die Arbeitsstätte erste Tätigkeitsstätte, die der Wohnung des Arbeitnehmers am nächsten liegt (§ 9 Abs. 4 Sätze 5 und 6 EStG).
Festlegung der ersten Tätigkeitsstätte
Haben Sie mehrere Tätigkeitsstätten oder arbeiten Sie zu Hause und im Betrieb, können Sie durch Absprache mit dem Arbeitgeber und einer entsprechenden Regelung im Arbeitsvertrag festlegen, ob überhaupt und wenn ja, an welchem Ort die erste Tätigkeitsstätte sein soll, und so den günstigsten Kostenabzug erreichen.
Sofern die zeitlichen Kriterien erfüllt sind, ist...