Leitsatz

1. Private Steuererstattungsansprüche des Erb­lassers unterfallen mit dem beim Eintritt des Erbfalls materiell-rechtlich zutreffenden Wert der Erbschaftsteuer, ohne dass es auf deren Durchsetzbarkeit zu diesem Zeitpunkt ankommt. Werden die Ansprüche erst später fällig, entsteht die Erbschaftsteuer insoweit erst mit Eintritt der Fälligkeit.

2. Erwirbt der Erbe mit dem Nachlass einen aufschiebend bedingten, betagten oder be­fris­teten Anspruch, verschiebt § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Halbs. 2 ErbStG nicht den Erwerbszeitpunkt, sondern lediglich den Zeitpunkt der Steuerentstehung.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, § 119 Abs. 1, § 157 Abs. 1 Satz 2 AO, § 36 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Alleinerbin ihres 1994 verstorbenen Ehemanns (E). Beim Tod des E waren die Eheleute für die Jahre 1989 bis 1991 bereits zur ESt veranlagt worden. Die danach zu leistenden bzw. zu erstattenden Steuern waren (aus-)bezahlt. Nach dem Tod des E wurden die ESt-Bescheide 1989 bis 1991 -- teilweise mehrfach -- geändert und für 1992 bis 1994 erstmals ESt-Bescheide erlassen. Letztere Bescheide wurden sodann ebenfalls mehrfach geändert. Die Änderungsbescheide für 1989 bis 1991 hatten jeweils zu Erstattungen geführt; dasselbe galt für die Erstbescheide und die ersten Änderungsbescheide bezüglich der Jahre 1992 bis 1994. Da sich die Steuerfestsetzungen für diese Jahre jedoch als zu niedrig erwiesen, hatten die letzten Änderungsbescheide für 1992 bis 1994 Nachzahlungen zur Folge. Sämtliche Bescheide ergingen im Weg der Zusammenveranlagung.

Das FA rechnete sämtliche Erstattungsansprüche dem Erwerb von Todes wegen hinzu, soweit sie auf E entfielen. Die auf ihn entfallenden Nachzahlungen zog es als Nachlassverbindlichkeiten ab. Die Klägerin meinte dagegen, die Erstattungsansprüche gehörten nicht zum Erwerb von Todes wegen. Das FG entschied, die Erstattungsansprüche gehörten nur insoweit dazu, als sie beim Tod des E bereits entstanden und durchsetzbar gewesen seien. Dies treffe nur auf die Erstattungsansprüche aus den erstmaligen Veranlagungen für 1992 bis 1994 zu (EFG 2006, 1076).

 

Entscheidung

Nach Ansicht des BFH fallen die Erstattungsansprüche für die Jahre 1989 bis 1993 sämtlich in den Nachlass, da sie beim Tod des E bereits entstanden waren und es auf die Durchsetzbarkeit der Ansprüche bereits zu diesem Stichtag nicht ankommt. Lediglich die Erstattungsansprüche für 1994 sind wegen der Zusammenveranlagung erst mit Ablauf des Todesjahrs entstanden und daher nicht zu berücksichtigen. Die Steuerschulden wegen der Nachzahlungen für 1992 bis 1994 können schon deshalb keine Nachlassverbindlichkeiten sein, weil sie die Folge von zu hohen Erstattungen sind, die auf Bescheiden beruhen, die erst nach dem Tod des E ergangen sind. Die anzusetzenden Erstattungsansprüche 1992 und 1993 sind allerdings um die Nachzahlungsbeträge für diese Jahre zu kürzen. Rechentechnisch konnte die Kürzung jedoch unterbleiben, da diese Nachzahlungen bereits zu Unrecht als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen worden waren.

 

Hinweis

1. Voraussetzung jeder steuerrechtlichen (Vermögen, Bereicherung, Erwerb) Erfassung von Steuererstattungsansprüchen ist, dass sie rechtlich entstanden sind. Darüber, wann dies der Fall ist, gibt es zwei Theorien, nämlich die materielle und die formelle Rechtsgrundtheorie. Nach der materiellen Rechtsgrundtheorie entsteht der Erstattungsanspruch bei abschnittsweise veranlagten Steuern mit Ablauf des jeweiligen Steuerabschnitts, für den gemessen an der materiellen Steuerrechtslage eine Überbezahlung vorliegt (so BFH, Urteil vom 26.04.1994, VII R 109/03, BFH/NV 1994, 839). Nach der formellen Rechtsgrundtheorie entsteht der Erstattungsanspruch in solchen Fällen nur dann, wenn noch keine der materiellen Rechtslage widersprechende Steuerfestsetzung vorliegt. Ist dies der Fall, weil etwa zu hohe USt-Voranmeldungen oder ESt-Vorauszahlungsbescheide existieren, entsteht der Erstattungsanspruch nach dieser Theorie erst dann, wenn die der materiellen Rechtslage nicht entsprechende Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert worden ist (so BFH, Urteile vom 18.12.1986, I R 52/83, BStBl II 1988, 522 sowie vom 28.11.1990, V R 117/86, BStBl II 1991, 281).

2. Der II. Senat des BFH sah bislang keine Notwendigkeit, sich für eine der beiden Theorien zu entscheiden. Er war der Ansicht, entgegenstehende Steuerbescheide schlössen auf jeden Fall einen Ansatz der Erstattungsansprüche beim Betriebsvermögen und der VSt aus. Solange und soweit ein Steuererstattungsanspruch wegen entgegenstehender Steuerfestsetzung nicht geltend gemacht werden könne, stelle er keine vermögenswerte Rechtsposition dar, die bei der Vermögensaufstellung zu berücksichtigen sei (BFH, Urteile vom 15.10.1997, II R 56/94, BStBl II 1997, 796 sowie vom 02.12.2003, II R 5/03, BFH-PR 2004, 153). Die Realisationsmöglichkeit bei Kapitalforderungen sei das Pendant zum Zusatzmerkmal der wirtschaftlichen Belastung bei Verbindlichkeiten.

3. Der vorliegende Fall, bei dem es erstmals...

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