Leitsatz
Hat die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes dem Arbeitgeber gem. § 6 Abs. 1 des Tarifvertrags über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe mitgeteilt, dass der Anspruch auf Erstattung der einem bestimmten Arbeitnehmer zu erbringenden Vorruhestandsleistungen dem Grund nach besteht, ist der Erstattungsanspruch gem. § 95 Abs. 1 BewG i.d.F. vor In-Kraft-Treten des StÄndG 1992 bei der Vermögensaufstellung auf den nachfolgenden Stichtag zu erfassen.
Normenkette
§ 95 Abs. 1 BewG (vor StÄndG 1992)
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt ein Bauunternehmen. Sie hatte in ihren Vermögensaufstellungen auf den 1.1.1985 bis 1987 zwar eine Rückstellung für noch zu erbringende Vorruhestandsleistungen als Schuldposten, aber keinen Besitzposten wegen der Erstattungsansprüche gegen die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes angesetzt.
Das FA erhöhte das Betriebsvermögen um die Erstattungsansprüche, hinsichtlich derer die Kasse zu den jeweiligen Stichtagen bereits mitgeteilt hatte, dass sie dem Grund nach bestehen. Einspruch, Klage und Revision blieben erfolglos.
Entscheidung
Mit dem Vorbescheid gem. § 6 Abs. 1 des Tarifvertrags über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe vom 12.12.1984 (TVVV), der zeitlich der Entscheidung des einzelnen Arbeitnehmers für den Vorruhestand stets nachfolgt, stehen die Ansprüche auf Erstattung der Vorruhestandsleistungen dem Grund nach fest. Dies gilt für die Erstattungsansprüche nicht nur bzgl. der Arbeitnehmer, die bei Ergehen des jeweiligen Vorbescheids die Voraussetzungen eines Eintritts in den Vorruhestand bereits erfüllt haben, sondern auch bzgl. solcher Arbeitnehmer, bei denen die Voraussetzungen erst zu einem zwar schon beantragten bzw. mit dem Arbeitgeber vereinbarten, aber noch bevorstehenden Eintrittstermin erfüllt werden.
Ereignisse, die bis zum tatsächlichen Übergang in den Vorruhestand oder bis zur Auszahlung des Vorruhestandsgelds eintreten können und eines von beidem oder beides verhindern, stellen auflösende Bedingungen dar, die gem. § 5 Abs. 1 BewG an Stichtagen vor ihrem Eintritt unberücksichtigt zu bleiben haben. Dafür spricht bereits die von den Tarifvertragsparteien in § 6 Abs. 1 TVVV verwendete Formulierung, wonach mitzuteilen ist, dass "der Erstattungsanspruch dem Grund nach besteht". Darüber hinaus ergibt der gesamte Regelungsgehalt des § 6 TVVV, dass die Tarifvertragsparteien den genannten Ereignissen nicht die Wirkung aufschiebender Bedingungen beimessen wollten.
Das zweistufige in den Vorbescheid und sodann in den Erstattungsbescheid mündende Verfahren nach dem TVVV regelt zwar in Bezug auf einen konkreten Arbeitnehmer die mit dem Vorruhestand verbundenen Ansprüche zunächst nur im Verhältnis des Arbeitgebers zur Versorgungskasse. Ihm kommt aber auf der ersten Stufe auch Bedeutung im Verhältnis des jeweiligen Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber zu. Auf dieser von § 6 TVVV bestimmten Stufe handelt die Versorgungskasse im Verhältnis zu dem einzelnen Arbeitnehmer nämlich zugleich stellvertretend für den Arbeitgeber, der ansonsten die Voraussetzungen für den Eintritt in den beantragten Vorruhestand selbst prüfen müsste.
Dem Arbeitnehmer, für den die Entscheidung, in den Vorruhestand zu gehen, von einschneidender Bedeutung ist, kommt es aber darauf an, hinsichtlich des zu erwartenden Vorruhestandsgelds eine soweit wie möglich verfestigte Rechtsposition zu haben. Diesem Bedürfnis trägt § 6 TVVV dadurch Rechnung, dass er den Erstattungsanspruch des Arbeitgebers – und damit incidenter den Anspruch des Arbeitnehmers auf die Vorruhestandsleistungen – ungeachtet der bestehenden Ungewissheiten dem Grund nach feststellt.
Hinweis
Die Frage, ob im Rahmen vertraglicher Beziehungen ein künftiges ungewisses Ereignis eine aufschiebende oder auflösende Bedingung darstellt, entscheidet sich nicht anhand objektiver Kriterien, die den Vertragspartnern unverrückbar vorgegeben sind. Vielmehr unterliegt es der privatautonomen Entscheidung der Vertragspartner, ob sie einem künftigen ungewissen Ereignis die Wirkung einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung beimessen wollen. Enthält der Vertrag darüber keine ausdrückliche Bestimmung, ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln, was die Vertragspartner gewollt haben (könnten). Die Literatur zu den Erstattungsansprüchen gegen die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes krankt zumeist an der Vorstellung, die Frage, welche Art von Bedingung vorliegt, anhand objektiver Kriterien entscheiden zu können.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.3.2003, II R 78/00