Leitsatz
1. Soweit die VO 1472/2006 und die DVO 1294/2009 durch den EuGH für ungültig erklärt wurden, weil die Europäische Kommission nicht über die Anträge einzelner ausführender Hersteller auf Marktwirtschafts- und individuelle Behandlung entschieden hatte, war die Europäische Kommission berechtigt, das Antidumpingverfahren wiederaufzunehmen, die Prüfung der Anträge nachzuholen und neue Antidumpingzollverordnungen zu erlassen. Die aufgrund der VO 1472/2006 und der DVO 1294/2009 entrichteten Abgaben blieben daher gesetzlich geschuldet i.S. von Art. 236 Abs. 1 ZK.
2. Eine nochmalige Mitteilung des festzusetzenden Antidumpingzolls ist nach Erlass der neuen Antidumpingzollverordnungen (DVO 2016/1647 und DVO 2016/2257) nicht erforderlich, weil die Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Antidumpingzolls nicht vollständig entfallen war, die Europäische Kommission gemäß Art. 266 AEUV zur Umsetzung des EuGH-Urteils verpflichtet war und die Höhe des Antidumpingzollsatzes auch nach nochmaliger Prüfung durch die Europäische Kommission unverändert geblieben ist.
Normenkette
Art. 236 Abs. 1 ZK, VO 1472/2006, DVO 1294/2009, DVO 2016/1647, DVO 2016/2257, Art. 2 Abs. 7 Buchst. b, Art. 9 Abs. 5 VO 384/96
Sachverhalt
Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 10.5.2010 setzte das HZA für mehrere Einfuhren von Schuhen, die die Klägerin im April 2010 zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet hatte, Antidumpingzoll fest. Lieferantin und Herstellerin der aus der Volksrepublik China eingeführten Schuhe war die A und der aus Vietnam eingeführten Schuhe die B. Die Klägerin entrichtete diese Antidumpingzölle.
Grundlage der Festsetzung war die VO (EG) Nr. 1472/2006 des Rates vom 5.10.2006 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik China und Vietnam (ABlEU 2006, Nr. L 275, 1). Die Antidumpingmaßnahmen blieben bis zum Auslaufen der Durchführungsverordnung – DVO – (EU) Nr. 1294/2009 des Rates vom 22.12.2009 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in Vietnam und in der Volksrepublik China, ausgeweitet auf aus der Sonderverwaltungsregion Macau versandte Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder, ob als Ursprungserzeugnisse der Sonderverwaltungsregion Macau angemeldet oder nicht, nach einer Auslaufüberprüfung nach Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates (AblEU 2009, Nr. L 352, 1) bis zum 31.3.2011 in Kraft.
Im Rahmen des Antidumpingverfahrens hatten die Lieferanten der Klägerin (A und B) Anträge auf Marktwirtschafts- und Individualbehandlung nach Art. 2 Abs. 7 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates vom 22.12.1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (AblEG 1996, Nr. L 56, 1) gestellt, waren jedoch von der Europäischen Kommission nicht im Rahmen einer stichprobenhaften Prüfung berücksichtigt worden und hatten daher keinen unternehmensspezifischen Antidumpingzollsatz erhalten.
Mit den Urteilen Brosmann Footwear (EuGH, Urteil vom 2.2.2012, C‐249/10 P) und Zhejiang Aokang Shoes/Rat (EuGH, Urteil vom 15.11.2012, C‐247/10 P) erklärte der EuGH die VO 1472/2006 für nichtig.
Den daraufhin gestellten Antrag der Klägerin auf Erstattung des Antidumpingzolls lehnte das HZA ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG urteilte, das HZA habe zu Recht die Erstattung des Antidumpingzolls abgelehnt, weil dieser im Zeitpunkt der Zahlung gesetzlich geschuldet gewesen sei (FG Düsseldorf, Urteil vom 5.2.2020, 4 K 1099/14 Z, Haufe-Index 13897356).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
Im Streitfall hatte die Klägerin Antidumpingzoll gezahlt und begehrte nun Erstattung nach Art. 236 ZK. Unerheblich war hierbei – anders als nach den Vorschriften der AO – dass die Klägerin den zugrunde liegenden Einfuhrabgabenbescheid nicht angefochten hatte.
1. Nach Art. 236 Abs. 1 ZK werden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben u.a. erstattet, wenn nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war. Ursprüngliche Rechtsgrundlagen waren die VO 1472/2006 und die DVO 1294/2009. Allerdings hatte der EuGH diese VO 1472/2006 beanstandet, sodass man sich fragen konnte, ob die Rechtsgrundlage nachträglich entfallen war.
2. Mit den Urteilen Brosmann Footwear (EuGH, Urteil vom 2.2.2012, C‐249/10 P) und Zhejiang Aokang Shoes/Rat (EuGH, Urteil vom 15.11.2012, C‐247/10 P) erklärte der EuGH die VO 1472/2006 hinsichtlich der Kläger dieser Verfahren – andere Ausführer als im vorliegenden Streitfall – für nichtig. Mit Urteil C & J Clark International und Puma (EuGH, Urteil vom 4.2.2016, C‐659/13 und C‐34/14, Haufe-Index 9034143) erklärte der EuGH die VO 1472/2006 und die DVO 1294/2009 für ungültig, soweit sie gegen Art. 2 Abs. 7 Buchst. b und Art. 9 Abs. 5 GrundVO verstieß, weil der Rat und d...