Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Unter der "Summe der Einkünfte" i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist derjenige Saldo zu verstehen, der nach horizontaler und vertikaler Verrechnung der Einkünfte verbleibt. Versagt das Gesetz wie in § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG im Falle eines Verlustes aus privaten Veräußerungsgeschäften die Verrechnung eines Verlustes aus einer Einkunftsart mit Gewinnen bzw. Überschüssen aus anderen Einkunftsarten, fließt dieser Verlust nicht in die "Summe der Einkünfte" ein.
Normenkette
§ 46 Abs. 2 Nr. 1, § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG
Sachverhalt
K, nicht selbstständig tätig, hatte 1999 eine Eigentumswohnung erworben und 2005 veräußert. Mit der ESt-Erklärung für 2005 erklärte K neben Lohn- und Vermietungseinkünften auch einen Veräußerungsverlust aus dem Wohnungsverkauf (§§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) von 8.886 EUR. Das FA setzte im daraufhin ergangenen Einkommensteuerbescheid allerdings die sonstigen Einkünfte mit 0 EUR an, weil der Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht ausgleichsfähig war (§ 23 Abs. 3 Satz 8 EStG). K musste daher 1.098 EUR Einkommensteuer nachzahlen. K wandte sich dagegen mit Einspruch und nahm den Antrag auf Veranlagung zurück. K meinte, von Amts wegen sei keine Einkommensteuerveranlagung vorzunehmen, weil sich die nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Einkünfte unter Einrechnung des Veräußerungsverlustes auf weniger als 410 EUR beliefen. Das FA beließ es bei der Veranlagung, die Klage dagegen blieb erfolglos (FG Köln, Urteil vom 1.10.2010, 5 K 1853/07, Haufe-Index 2707562, EFG 2011, 1426).
Entscheidung
Entgegen Ks Auffassung lagen hier die Voraussetzungen einer Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vor, sodass K der Veranlagung durch Rücknahme des Antrags nicht entgehen konnte. Der BFH bestätigte also, wie unter den Praxis-Hinweisen erläutert, die Entscheidung der Vorinstanz und wies die Revision zurück.
Hinweis
Wieder einmal hatte sich der Lohnsteuersenat mit der Frage zu befassen, ob der Steuerpflichtige der Pflichtveranlagung oder nur der Antragsveranlagung unterliegt, hier daran zu entscheiden, was "Summe der Einkünfte" i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG meint.
1. Der Tatbestand scheint einfach; die Veranlagung ist (Pflicht) durchzuführen, wenn die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, mehr als 410 EUR beträgt. Angesichts der besonderen, nur sehr eingeschränkt verlustverrechnungsfähigen Einkünfte des K kam es hier darauf an, ob auch § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG Verluste, also negative Größen, unberücksichtigt lässt. So hatte sich der BFH mit den Berechnungsmodalitäten zu der "Summe der Einkünfte" i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zu befassen, die mit Überschreiten des Betrags zur Pflichtveranlagung führt. Das Ergebnis: Die Berechnung hat sowohl dem Grunde nach als auch der Höhe nach die Regeln der Einkünfteermittlung nach §§ 2 bis 24 EStG zu beachten, hier also insbesondere § 23 Abs. 3 EStG. Wenn dort Satz 8 den Verlustausgleich bis zur Höhe des Gewinns begrenzt, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ergibt sich daraus keine Minderung der Summe der Einkünfte. Ein solcher Veräußerungsverlust geht also nicht in die Berechnung der Summe der Einkünfte ein. Der rechtstechnische Begriff der Summe der Einkünfte i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist also wie der in § 2 Abs. 3 EStG auszulegen. Materiell rechtlich ist diese "Summe der Einkünfte" letztlich die Grundlage für den horizontalen und vertikalen Verlustausgleich. So sind auch gesetzliche Beschränkungen des Verlustausgleichs – hier § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG – bei der Ermittlung dieser Größe zu berücksichtigen, zumal dieselben Begriffe regelmäßig auch in derselben Weise auszulegen sind (ausführlich BFH, Urteil vom 22.5.2006, VI R 50/04, BFH/NV 2006, 1943, BFH/PR 2006, 473).
2. Angesichts der Höhe der positiven Summe der Einkünfte konnte hier die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der rückwirkenden Anwendung der Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG dahinstehen (dazu BFH, Urteil vom 17.1.2013, VI R 32/12, BFH/NV 2013, 822, BFH/PR 2013, 190).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 26.3.2013 – VI R 22/11