Leitsatz
1. Wird eine USt-Jahreserklärung, die gem. § 168 Satz 1 AO als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wirkt, während eines Einspruchsverfahrens gegen die abgelehnte Änderung der Herabsetzung eines USt-V-Vorauszahlungsbescheids abgegeben, wird gem. § 365 Abs. 3 AO der Umsatzsteuer-Jahresbescheid zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens.
2. "Wirtschaftsgut" i.S.d. § 15a Abs. 1 und 2 UStG und des § 44 Abs. 1 UStDV ist bei Mastschweinen (Ferkeln), die für das Unternehmen bezogen worden sind, das einzelne Ferkel.
Normenkette
§ 15a Abs. 1 und 2, Abs. 11 Nr. 1 UStG 2005, § 44 Abs. 1 UStDV, § 365 Abs. 3 AO
Sachverhalt
Ein Landwirt erwarb 2007 als Regel-Versteuerer Mastferkel, die er 2008, nach Wechsel zur Besteuerung nach § 24 UStG, jeweils in einer größeren Stückzahl veräußerte. Er beanspruchte die Beachtung der Geringfügigkeitsgrenze in § 44 Abs. 1 UStDV und wandte sich daher gegen die Berichtigung nach § 15a UStG. Nach Auffassung des FA war die Geringfügigkeitsgrenze überschritten, weil es sich jeweils um Sachgesamtheiten handele. Die Klage vor dem Niedersächsischen FG (Urteil vom 19.8.2010, 16 K 152/10, Haufe-Index 2469514, EFG 2010, 2130) hatte Erfolg.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA zurück.
Die wesentlichen Kriterien hierfür ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Der abweichenden Auffassung des BMF in Abschn. 218 Abs. 1 Satz 4 UStR 2008 (nunmehr Abschn. 15a.11. Abs. 1 des USt-Anwendungserlasses), die bei vertretbaren Sachen zur Bestimmung des Wirtschaftsguts auf die vertraglichen Vereinbarungen – den Vertragsgegenstand – zwischen leistendem Unternehmer und Leistungsempfänger abstellt, folgte der BFH jedenfalls im Hinblick auf Mastschweine nicht.
Eine verfahrensrechtliche Besonderheit war, dass das FA über den Einspruch gegen den Vorauszahlungsbescheid für das I. Quartal 2008 entschieden hatte, obwohl bereits eine als Vorbehaltsbescheid geltende Jahreserklärung für 2008 abgegeben war, und dass weiter zeitgleich mit der Einspruchsentscheidung ein Änderungsbescheid für 2008 bekannt gegeben wurde. Da nach ständiger Rechtsprechung der Jahresbescheid die Vorauszahlungsbescheide ersetzt i.S.d. § 365 AO bzw. § 68 FGO, wurde dieser bereits Gegenstand der Einspruchsentscheidung und – bei Identität des Streitgegenstandes im Einspruchs- und Klageverfahren – auch des Klageverfahrens.
Hinweis
Der Übergang von der Regel- zur Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG erfordert eine Berichtigung nach § 15a UStG. Ob Mastschweine, die jeweils in größeren Mengen (als "Partie") veräußert werden, als "Sachgesamtheit" nicht unter die Geringfügigkeitsgrenze fallen, war Gegenstand des Verfahrens.
1. Unionsrechtlich sind "Investitionsgüter" Berichtigungsobjekte (vgl. Art. 187 Abs. 1 MwStSystRL, Art. 20 Abs. 2 der 6. EG-RL), wobei die Mitgliedstaaten diesen Begriff definieren können. Nach nationalem Recht sind Berichtigungsobjekte "Wirtschaftsgüter", die nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet werden, Wirtschaftsgüter, die nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet werden, aktivierungspflichtige sonstige Leistungen (§ 15a Abs. 2 UStG), unter bestimmten Voraussetzungen Bestandteile und sonstige Leistungen sowie nachträgliche Anschaffungs- und Herstellungskosten.
2. Maßgeblich ist eine Einzelbetrachtung. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH ist im Rahmen des Leistungsaustauschs bei Vorliegen eines Bündels von Einzelleistungen und Handlungen grundsätzlich jede Leistung als eigene selbstständige Leistung anzusehen und eine Ausnahme nach der Rechtsprechung nur geboten, wenn dadurch eine wirtschaftlich einheitliche Leistung künstlich aufgespalten wird. Maßgeblich ist auch hier die Sicht des Durchschnittsverbrauchers. In der Regel ist die tatsächliche Würdigung durch das FG zu beachten, wenn diese den Umständen des einzelnen Erwerbsvorgangs gerecht wird. Aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers ist ein "Wirtschaftsgut" ein Gut, das nach der Verkehrsauffassung selbstständig verkehrsfähig und bewertbar ist. Auch eine "Partie" Schweine ist daher keine einheitliche Sache.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 3.11.2011 – V R 32/10