Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
§ 13b Abs. 2 Satz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) ist dahingehend auszulegen, dass bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG besteht und nach seinem Hauptzweck einer Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes dient, für den dort verankerten sogenannten 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen sind.
Normenkette
§ 13a Abs. 1 und 2, § 13b Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Nr. 5 Sätze 1 und 4 ErbStG, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb von ihrem Vater im Jahr 2017 schenkweise alle Anteile an einer GmbH. Dabei handelte es sich um ein pharmazeutisches Handelsunternehmen mit Tätigkeiten in Vertrieb und Forschung.
Das FA stellte mit Bescheid vom 19.4.2018 gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG den Wert des Anteils der GmbH mit 555.975 EUR und gemäß § 13b Abs. 10 ErbStG die Summen der gemeinen Werte der Finanzmittel mit 2.517.649 EUR, der jungen Finanzmittel mit 60.000 EUR, des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 bis 4 ErbStG und des jungen Verwaltungsvermögens jeweils mit 0 EUR sowie Schulden i.H.v. 3.138.504 EUR für Zwecke der SchenkSt auf den Bewertungsstichtag gesondert und einheitlich fest. Weitere Feststellungen traf es zu der Anzahl der Beschäftigten mit 21 Personen und der Ausgangslohnsumme mit 984.330 EUR. Nachrichtlich wurde vermerkt, dass der Hauptzweck des Unternehmens eine Tätigkeit i.S.d. § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG sei.
Das FA setzte SchenkSt i.H.v. 51.675 EUR fest. Dabei ging es von einem Wert des Erwerbs i.H.v. 544.598 EUR (Wert des festgestellten Anteils i.H.v. 555.975 EUR abzüglich Kosten und Gebühren von insgesamt 11.377 EUR) zuzüglich einer Vorschenkung i.H.v. 200.000 EUR aus und brachte einen Freibetrag i.H.v. 400.000 EUR in Abzug. In den Erläuterungen zum Bescheid wurde ausgeführt, dass nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG (sog. 90 %-Einstiegstest) eine Begünstigung nach § 13a ErbStG nicht gewährt werden könne.
Mit ihrem dagegen eingelegten Einspruch beantragte die Klägerin die Gewährung der Regelverschonung für Betriebsvermögen. Den Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Die Klage vor dem FG hatte Erfolg (FG Münster, Urteil vom 24.11.2021, 3 K 2174/19 Erb, Haufe-Index 15062543, EFG 2022, 343).
Entscheidung
Die Revision des FA führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil das FA während des Revisionsverfahrens einen Änderungsbescheid erlassen hatte. Der BFH hat der Klage im Revisionsverfahren erneut stattgegeben und die SchenkSt auf 0 EUR festgesetzt, sodass die Revision des FA im Ergebnis erfolglos geblieben ist.
Hinweis
1. Bei der SchenkSt bleibt nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStGbegünstigtes Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG grundsätzlich zu 85 % steuerfrei (Verschonungsabschlag), wenn dieses zuzüglich der Erwerbe i.S.d. § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG insgesamt 26 Mio. EUR nicht übersteigt. Gemäß § 13a Abs. 2 Satz 1 ErbStG bleibt der nach Anwendung von § 13a Abs. 1 ErbStG verbleibende Teil des begünstigten Vermögens außer Ansatz, soweit der Wert dieses Vermögens insgesamt 150.000 EUR nicht übersteigt (Abzugsbetrag).
2. Zu dem begünstigungsfähigen Vermögen gehört nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ErbStG auch die Schenkung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn die Kapitalgesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat und der Schenker am Nennkapital dieser Gesellschaft unmittelbar zu mehr als 25 % beteiligt war (Mindestbeteiligung). Diese Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt.
3. Die steuerliche Begünstigung für den Erwerb der GmbH-Anteile nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn dieser der 90 %-Einstiegstest nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG entgegensteht. In diesem Fall ist die Vergünstigung vollständig ausgeschlossen.
4. Der Wortlaut des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG ist nach Auffassung des BFH dahin gehend zu verstehen, dass bei der Berechnungsformel des 90 %-Einstiegstests als Zähler das Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 4 ErbStG"vor" der Schuldenverrechnung und des 15%igen Freibetrags nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG anzusetzen ist. Bei dem Zähler der Berechnungsformel handelt es sich somit um eine Bruttogröße. Nur bei Verwaltungsvermögen, das der Sicherung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen dient, werden Schulden insoweit in Abzug gebracht, als die Verpflichtungen durch Treuhandverhältnisse abgesichert sind.
5. Den Nenner der Berechnungsformel bildet der festgestellte (vgl. § 13b Abs. 10 ErbStG) gemeine Wert (§ 109 Abs. 2 BewG) des gesamten begünstigungsfähigen Vermögens. Der gemeine Wert wird unter Heranziehung von § 11 Abs. 2 BewG bestimmt. Hierbei ist die Summe der Einzelteile des Betriebsvermögens nicht identisch mit dem gemeinen Wert des Betriebs. Denn im Rahmen der Berechnung des gemeinen Werts werden Schul...