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1Die Einkommensteuer ist eine Jahressteuer, die mit Ablauf des Kalenderjahres entsteht (zur Entstehung der Einkommensteuervorauszahlungen siehe § 37 Abs. 1 EStG). 2Die einheitlich ermittelte Jahressteuer ist grundsätzlich im Verhältnis der Einkünfte den verschiedenen insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen zuzuordnen. 3Die Verteilung der Einkünfte auf die einzelnen Vermögensbereiche hat nach Maßgabe der in den einzelnen Abschnitten zu berücksichtigenden Besteuerungsmerkmale insbesondere unter Beachtung der Gewinnermittlungsvorschriften (§ 4 Abs. 1 EStG oder § 4 Abs. 3 EStG) zu erfolgen (BFH-Urteil vom 9.12.2014, X R 12/12, BFH/NV 2015 S. 988). 4Da eine konkrete Zuordnung häufig nicht möglich ist, können die Einkünfte im Schätzungswege zeitanteilig zugeordnet werden, es sei denn, dies führt zu einer offensichtlich unzutreffenden Verteilung z. B. bei Aufdeckung stiller Reserven (BFH-Urteil vom 29.3.1984, IV R 271/83, BStBl II S. 602), Auflösung von Rückstellungen oder Einkünften aus insolvenzfreiem Vermögen.
Beispiel:
1Das Insolvenzgericht eröffnete am 1.7.01 das Insolvenzverfahren. 2Der Steuerpflichtige erzielte im Jahr 01 insgesamt Einkünfte von 100.000 €. 3Hiervon entfallen 60.000 € auf die Veräußerung eines Grundstücks durch den Insolvenzverwalter im Oktober 01. 4Weitere Einkünfte i. H. v. 10.000 € entfallen auf den Gewinn aus einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen selbstständigen Tätigkeit des Schuldners. 5Hinsichtlich der restlichen Einkünfte von 30.000 € ist eine Zuordnung auf Zeiträume vor Insolvenzeröffnung und nach Insolvenzeröffnung nicht möglich.
5Die Verteilung hat vorrangig nach Zuordnung zu den Geschäftsvorfällen zu erfolgen, da eine zeitanteilige Verteilung aller Einkünfte hier zu einem unzutreffenden Ergebnis führen würde.
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Einkünfte |
Durch vorinsolvenzliches Vermögen begründet (vorinsolvenzlicher Vermögensbereich) |
Durch Insolvenzmasse begründet (Insolvenzmasse) |
Insolvenzfreies Vermögen |
Zuordnung nach Geschäftsvorfällen |
70.000 € |
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60.000 € |
10.000 € |
Zeitanteilig zugeordnet |
30.000 € |
15.000 € |
15.000 € |
0 € |
Summe |
100.000 € |
15.000 € |
75.000 € |
10.000 € |
6Der Altersentlastungsbetrag gem. § 24a EStG wird quotal bei den entsprechenden Einkünften abgezogen (vgl. BFH-Urteil vom 27.10.2020, VIII R 19/18, BStBl 2021 II S. XXX).
9.1.1 Einzelveranlagung
Die einheitlich ermittelte Jahressteuer ist im ermittelten Verhältnis der Einkünfte (vgl. AEAO zu § 251, Nr. 9.1) den verschiedenen insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen zuzuordnen.
Beispiel 1:
1Das Insolvenzgericht eröffnete auf einen Insolvenzantrag vom 1.6.01 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners am 1.9.01. 2Der Steuerpflichtige erzielte im Jahr 01 insgesamt Einkünfte von 120.000 €. 3Hiervon entfallen 100.000 € auf Zeiträume vor Insolvenzeröffnung und je 10.000 € auf Einkünfte der Insolvenzmasse (einschließlich Einkünfte i.S.v.
§ 55 Abs. 4 InsO) und des insolvenzfreien Vermögens. Die einheitlich ermittelte Einkommensteuer beträgt insgesamt 12.000 €.
4Die einheitlich ermittelte Steuer ist den insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen im Verhältnis der Einkünfte aus den unterschiedlichen Vermögensbereichen zu der Summe der Einkünfte zuzuordnen:
Anteiliger Steuerbetrag = |
anteilige Einkünfte des Vermögensbereichs |
x Gesamtsteuerbetrag |
Summe der Einkünfte |
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Summe |
Insolvenzeröffnung |
Insolvenzmasse |
Insolvenzfreies Vermögen |
Einkünfte |
120.000 € |
100.000 € |
10.000 € |
10.000 € |
Steuer |
12.000 € |
10.000 € |
1.000 € |
1.000 € |
5Die einheitlich ermittelte Steuer wird in Höhe des auf den jeweiligen insolvenzrechtlichen Vermögensbereich entfallenden Betrages gegenüber diesem festgesetzt (Insolvenzmasse bzw. insolvenzfreies Vermögen) oder berechnet. 6Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge werden im Rahmen der Anrechnungsverfügung bei dem insolvenzrechtlichen Vermögensbereich berücksichtigt, aus dem sie geleistet wurden. 7Steuererstattungsansprüche aufgrund von Steuervorauszahlungen oder Steuerabzugsbeträgen entstehen in den jeweiligen Vermögensbereichen im Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer bzw. des Einbehalts der Steuerabzugsbeträge unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Veranlagungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Summe aus geleisteten Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen, vgl. § 36 Abs. 4 EStG (BFH-Urteil vom 29.1.1991, VII R 45/90, BFH/NV S. 791). 8Eine Verrechnung von Erstattungs- mit Nachzahlungsbeträgen verschiedener Vermögensbereiche im Rahmen der Jahresveranlagung ist nicht statthaft (BFH-Urteil vom 24.2.2015, VII R 27/14, BStBl II S. 993). 9Die Möglichkeit einer Aufrechnung z. B. eines Guthabens im vorinsolvenzlichen oder freigegebenen Vermögen mit Insolvenzforderungen unter Beachtung insbesondere der §§ 94 ff. InsO bleibt unberührt.
Beispiel 2 (Fortsetzung von Beispiel 1):
1Am 10.3.01 zahlte der Schuldner 600 € Vorauszahlungen. 2Die festgesetzte Vorauszahlung für das II. Quartal zahlte er nicht. 3Am 10.9.01 und am 10.12.01 zahlte der Insolvenzverwalter jeweils 600 € Vorauszahlungen. 4Das Finanzamt setzte gegen den Schuldner keine Vorauszahlungen f...