Leitsatz
1. Sprachaufenthalte im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses sind grundsätzlich nur dann als Berufsausbildung anzusehen, wenn sie von einem durchschnittlich mindestens zehn Wochenstunden umfassenden theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden (Bestätigung der Rechtsprechung). Bei weniger als durchschnittlich zehn Wochenstunden können ausnahmsweise einzelne Monate als Berufsausbildung zu werten sein, wenn sie durch intensiven, die Grenze von zehn Wochenstunden deutlich überschreitenden Unterricht geprägt werden (z.B. Blockunterricht oder Lehrgänge).
2. Darüber hinaus können Auslandsaufenthalte im Einzelfall als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Fremdsprachenunterricht zwar weniger als zehn Wochenstunden umfasst, aber einen über die übliche Vor- und Nachbereitung hinausgehenden zusätzlichen Zeitaufwand erfordert (z.B. fachlich orientierter Sprachunterricht, Vorträge des Kindes in der Fremdsprache).
3. Auslandsaufenthalte, die von einer Ausbildungs- oder Prüfungsordnung zwingend vorausgesetzt werden oder der Vorbereitung auf einen für die Zulassung zum Studium oder zu einer anderen Ausbildung erforderlichen Fremdsprachentest dienen (z.B. TOEFL oder IELTS), können unabhängig vom Umfang des Fremdsprachenunterrichts als Berufsausbildung zu qualifizieren sein.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
Sachverhalt
Die Tochter des Klägers hielt sich von 8/2006 bis 30.6.2007 als Au‐pair in England auf. Sie beabsichtigte, danach Betriebswirtschaftslehre zu studieren, und wollte durch den Auslandsaufenthalt die aus ihrer Sicht unentbehrlichen Englischkenntnisse erwerben. An einem College besuchte sie den Kurs "ESOL Skills for Life Level 1" mit zweimal in der Woche je zwei Stunden Unterricht sowie zwei Wochenstunden Virtual Learning Environment, die von einem Tutor beaufsichtigt wurden. Ihre Gastmutter bestätigte, sie zwei Stunden täglich in Englisch unterrichtet zu haben.
Die Familienkasse hob die Festsetzung von Kindergeld für die Tochter ab 7/2006 auf.
Das FG München wies die Klage ab (Urteil vom 22.1.2008, 12 K 775/07, Haufe-Index 2035188, EFG 2008, 1640). Die Tochter habe nur an sechs Unterrichtsstunden wöchentlich teilgenommen. Es sei nicht ersichtlich, dass es sich bei der Unterweisung durch die Gastmutter um einen theoretisch-systematischen Unterricht gehandelt habe und dass diese dafür qualifiziert gewesen sei. Der absolvierte Test diene lediglich der Integration von Zuwanderern in Großbritannien. Der Auslandssprachaufenthalt sei auch nicht für das angestrebte Betriebswirtschaftsstudium vorgeschrieben oder empfohlen.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Zur Berufsausbildung gehören nach ständiger Rechtsprechung des BFH alle Maßnahmen, die dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen dienen, die als Grundlage für die Ausübung eines angestrebten Berufes geeignet sind. Sie müssen weder in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sein noch die Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nehmen. Zur Ausbildung gehören daher z.B. auch "freie" Praktika, die Vorbereitung auf die Wiederholungsprüfung nach Beendigung des betrieblichen Ausbildungsverhältnisses im Selbststudium und die Vorbereitung auf das Abitur für Nichtschüler. Au-pair-Aufenthalte im fremdsprachigen Ausland sind jedoch nicht ohne Weiteres Berufsausbildung, obwohl sie zweifellos den Erwerb nützlicher Fähigkeiten fördern. Denn derartige Erfahrungen lassen sich auch durch längere Auslandsurlaube u. Ä. gewinnen.
2. Wenn ein Kind im Ausland – z.B. durch den Besuch einer Universität – eine Ausbildung absolviert, dann schließt ein zeitgleiches Au-pair-Verhältnis die Berücksichtigung des Kindes wegen dieser anderweitigen Ausbildung nicht aus.
3. Der BFH bekräftigt seine langjährige Rechtsprechung, dass Sprachaufenthalte im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses nur dann als Berufsausbildung angesehen werden, wenn sie von einem mindestens zehn Wochenstunden umfassenden Sprachunterricht begleitet werden. Der Aufwand für Vorbereitung und Hausarbeiten wird dabei nur in Sonderfällen mitgerechnet, z.B. bei fachlich orientiertem Sprachunterricht wie "Englisch für Juristen".
Die Frage, ob eine Wochenstunde 45 oder 60 Minuten umfasst und ob ggf. umzurechnen ist, bleibt offen.
Offen bleibt auch, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Unterrichtsstunden in der Fremdsprache und in anderen Fächern (z.B. Landeskunde, Politik, Kinderpflege) zusammenzurechnen sind, wenn letztere nicht bereits für sich eine Ausbildung darstellen.
4. Die im 3. Leitsatz formulierten Ausnahmen vom Erfordernis eines zehn Wochenstunden umfassenden Fremdsprachenunterrichtes sind eng zu verstehen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.3.2012 – III R 58/08