Leitsatz
1. Die 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos aufkauft und seinen Kunden dafür Gebühren berechnet, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinn der Artikel 2 und 4 dieser Richtlinie ausübt, so dass er die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen hat und daher gem. Art. 17 der 6. EG-RL zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
2. Eine wirtschaftliche Tätigkeit, die darin besteht, dass ein Wirtschaftsteilnehmer Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos aufkauft und seinem Kunden dafür Gebühren berechnet, stellt eine Einziehung von Forderungen im Sinn von Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 3 a. E. der 6. EG-RL dar und ist damit von der mit dieser Bestimmung eingeführten Steuerbefreiung ausgeschlossen.
Normenkette
Art. 2 der 6. EG-RL , Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der 6. EG-RL , § 1 UStG , § 2 UStG , § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG
Sachverhalt
Die Factoring KG übernahm Forderungen der M gegenüber den Händlern innerhalb eines festgelegten Rahmens. Für die angekauften Forderungen übernahm sie das Ausfallrisiko ohne Rückgriffsrecht gegen die M. Der Delkrederefall galt als eingetreten bei Ausfall der Zahlung durch die Händler 150 Tage nach Fälligkeit der jeweiligen Rechnung. Ferner verpflichtete sich die Factoring KG zur Führung der Debitorenbuchhaltung und zur Übersendung von Unterlagen über den Stand der jeweiligen Abnehmer-Geschäftsbeziehungen. Vereinbarte Gebühren waren eine Factoringgebühr von 2 % und eine Delkrederegebühr von 1 % der Nennbeträge der übernommenen Forderungen.
Entscheidung
Der EuGH entschied wie im Leitsatz wiedergegeben. Der BFH wird anschließend dem Vorlagefall entsprechend entscheiden.
Hinweis
- Die Finanzverwaltung geht bisher in Abschn. 18 Abs. 4 Satz 3 UStR davon aus, dass das echte Factoring (Forderungskauf mit voller Übernahme des Ausfallrisikos) keine unternehmerische Tätigkeit des Factoring-Instituts sei; lediglich der Anschlusskunde erbringe gegenüber dem Factoring-Institut eine nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG steuerfreie Leistung (Abtretung einer Forderung; so Abschn. 60 Abs. 1 und 2 UStR). Zweifel an dieser in älteren Entscheidungen auch vom BFH vertretenen Auffassung hatte der V. Senat im Urteil vom 17.5.2001, V R 34/99, (BFH-PR 2001, 344) geäußert. Weil es zugleich um die Auslegung der 6. EG-RL geht, legte der BFH dem EuGH (BFH-PR 2001, 344) – vereinfacht – folgende Fragen vor:
- Ist das echte Factoring eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 2 der 6. EG-RL (= Lieferung oder sonstige Leistung eines Unternehmers (§§ 1 Abs. 1 und 2Abs. 1 UStG)?
- Ist diese ggf. steuerfrei nach Art. 13 Teil B Buchst. d der 6. EG-RL (vergl. § 4 Nr. 8 Buchst. a bzw. c UStG) als Gewährung, Vermittlung und Verwaltung von Krediten (Nr. 1) bzw. als Umsätze – einschließlich der Vermittlung – im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der Einziehung von Forderungen (Nr. 3). In der englischen und schwedischen Fassung ist in Nr. 3 ausdrücklich auch das Factoring erwähnt.
Die wesentlichen Grundsätze der Entscheidung sind:
1. Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit ist weit auszulegen; er umfasst sämtliche Stadien der Erzeugung, des Handels und der Erbringung von Dienstleistungen (Rz. 41).
2. Dazu gehört auch die Nutzung eines Gegenstands im weitesten Sinn zur Erzielung von Einnahmen, nicht aber das bloße Halten einer Beteiligung an einem Unternehmen (Holding), da eine Dividende nur "Ausfluss" der Beteiligung und keine Gegenleistung für eine wirtschaftliche Tätigkeit ist; anders bei Eingriff in die Verwaltung, soweit diese Dienstleistungen (= sonstige Leistungen) einschließen (Rz. 44-46).
3. Es muss ein Rechtsverhältnis vorliegen, innerhalb dessen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden (Rz. 47).
4. Die in Art. 13 der 6. EG-RL vorgesehenen Steuerbefreiungen sind autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eng auszulegen sind (Rz. 62-63). Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der 6. EG-RL stellt nur auf die Art der Dienstleistung ab; maßgebend ist die "objektive Natur" des betreffenden Umsatzes. Es kommt nicht auf die Person des Dienstleisters an (Rz. 64).
5. Die Ausnahmen von der Ausnahme von der Besteuerung, von dem eng auszulegenden Steuerbefreiungstatbestands also, sind weit auszulegen (Rz. 75), weil dann wieder die Regel (Besteuerung aller wirtschaftlicher Tätigkeiten) gilt.
Und nun zum Factoring: Auch der echte Factor erbringt gegenüber dem Anschlusskunden – der die Forderung aus seinem Geschäft an den Factor abtritt – eine Dienstleistung gegen Entgelt: er entlastet ihn durch den Ankauf der Forderung von der Einziehung und vom Risiko des Ausfalls; als Entgelt erhält er vom Anschlusskunden eine Vergütung, die der Differenz zwischen Nennwert der Forderung und dem tatsächlich gezahlten Betrag entspricht (z.B. nach Einbehalt von als Delkredere und/oder Factoringgebühren bezeichneten Beträgen). Die Übernahme des Ausfallrisikos ist nicht nu...