Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Die Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) einer dem Arbeitgeber erteilten Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) ist ein Verwaltungsakt i.S.v. § 118 S. 1 AO (Anschluss an Senatsentscheidung vom 30.04.2009, VI R 54/07, BFH/NV 2009, 1528, BFH/PR 2009, 374).
2. Die Finanzbehörde kann eine Anrufungsauskunft mit Wirkung für die Zukunft aufheben oder ändern (§ 207 Abs. 2 AO analog).
Normenkette
§ 42e EStG, § 130, § 131, § 207 Abs. 2, § 89 Abs. 2 AO, § 2 Abs. 3 StAuskV
Sachverhalt
K, zunächst Mitglied der Zusatzversorgungskasse (ZVK) der Stadt X, wurde zum 01.01.2001 Mitglied einer anderen Zusatzversorgungskasse (YZVK). K sollte an YZVK zum Ausgleich der mit der Übernahme für die YZVK verbundenen Nachteile eine Ausgleichszahlung von 49 Mio. DM ab 2001 in 15 gleichen Raten zahlen. K unterwarf diese Zahlungen der LSt nach § 40b EStG. Im Anschluss an das Urteil des LSt-Senats vom 14.09.2005 (VI R 148/98 BFH/NV 2005, 2300, BFH/PR 2006, 19), nach dem solche Zahlungen keinen Lohn darstellten, teilte K dem FA mit, die "zu Unrecht versteuerten geldwerten Vorteile aus Nachteilsausgleichszahlungen der Jahre 2002 – 2005" stornieren zu wollen, und beantragte eine Anrufungsauskunft (§ 42e EStG), wonach die Rückabwicklung der Besteuerung der Nachteilsausgleichszahlungen rechtmäßig sei und die 2002 bis 2004 der LSt unterworfenen Beträge 2005 und 2006 als negative Einnahmen zu behandeln seien.
Das FA erteilte K am 29.06.2006 die erbetene Auskunft. Am 20.09.2006 widerrief das FA diese mit der Begründung: "Nach einer mündlichen Auskunft von Herrn G (LSt-Referat ...) stellen die von Ihren Arbeitnehmern überzahlten Individualsteuerbeträge keine negativen Arbeitslöhne im Zeitpunkt der angeblichen Rückzahlung in 2006 dar, da überhaupt kein Abfluss i.S.v. § 11 Abs. 2 EStG vorliegt."
K erhob dagegen erfolglos Klage. Das FG beurteilte die Anfechtungsklage als unzulässig und den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag als unbegründet (FG Düsseldorf, Urteil vom 26.11.2008, 4 K 4895/07 AO, Haufe-Index 2190272, EFG 2009, 347).
Entscheidung
Der BFH beurteilte die Aufhebung der Anrufungsauskunft aus den unter Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen als fehlerhaft, da nicht erkennbar war, dass überhaupt eine Ermessensüberlegung angestellt worden war. Er hob daher die Vorentscheidung auf und gab der Klage gegen den Widerrufsbescheid statt.
Hinweis
Nachdem der LSt-Senat mit Urteil vom 30.04.2009, VI R 54/07 (BFH/NV 2009, 1528, BFH/PR 2009, 374) entschieden hatte, dass die Anrufungsauskunft feststellender Verwaltungsakt ist, entwickelte er mit dem Besprechungsfall nun Rechtsgrundsätze dazu, unter welchen Voraussetzungen dieser Verwaltungsakt aufgehoben/widerrufen werden kann.
1.§ 42e EStG regelt die Aufhebung und Änderung einer Anrufungsauskunft nicht. Diese Gesetzeslücke schließt der BFH durch eine entsprechende Anwendung des § 207 Abs. 2 AO. Denn die Gründe, die dort die Korrekturmöglichkeiten geben, gelten auch für die Anrufungsauskunft. § 207 Abs. 2 AO gestattet allerdings auch nicht voraussetzungslos Widerruf und Korrektur. Denn § 207 Abs. 2 AO stellt die Aufhebung oder Änderung der verbindlichen Zusage in das Ermessen der Behörde ("kann"). Die Entscheidung über die Aufhebung und Änderung einer Anrufungsauskunft setzt daher sachgerechte Erwägungen der Behörde voraus. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen ist gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Durchsetzung des "richtigen Rechts" abzuwägen.
2. Dies bedeutet für die Praxis, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung und Änderung einer Anrufungsauskunft nicht allzu hoch sind. Allerdings ist die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Hinblick darauf zu prüfen, ob das Ermessen ausgeübt und begründet wurde (§ 121 Abs. 1 AO) und dabei insbesondere die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen aus der Verwaltungsentscheidung erkennbar sind. Das war hier nicht der Fall: denn weder im angefochtenen Aufhebungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung war der Widerruf begründet und die für und gegen eine Aufhebung sprechenden Umstände abgewogen. Es war nicht einmal erkennbar, dass das FA sich des ihm eingeräumten Ermessens bewusst war. Und die erst sehr spät, nämlich erst in der mündlichen Verhandlung geäußerte Erwägung, die Auskunft sei rechtswidrig gewesen und hätte allein schon deshalb widerrufen werden müssen, war keine Ergänzung, sondern unzulässige Nachholung der Ermessenserwägung.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 02.09.2010 – VI R 3/09