Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
Ein nach einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel gegen den falschen Beklagten ergangenes Urteil des FG ist auf die Revision des falschen Beklagten hin aufzuheben. Der Rechtsstreit ist in einem solchen Fall an das FG zurückzuverweisen, wenn der richtige Beklagte selbst nicht ebenfalls Revision eingelegt hat und der Prozessführung des falschen Beklagten im Revisionsverfahren auch nicht zugestimmt hat.
Normenkette
§ 57 Nr. 2, § 63 Abs. 1 Nr. 1, § 122 Abs. 1 FGO, § 122 Abs. 5, § 365 Abs. 1 AO, § 2 FAZVO
Sachverhalt
Der Kläger legte im Jahr 2015 Einspruch gegen einen Abrechnungsbescheid der Landesfinanzkasse (LFK) ein. Streitig war die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen nach § 36 Abs. 2 Nrn. 2 oder 3 EStG. Diesen Einspruch wies zunächst das Veranlagungs-FA Y durch Einspruchsentscheidung als unbegründet zurück. Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG hob die Einspruchsentscheidung wegen sachlicher Unzuständigkeit (§ 367 Abs. 1 S. 1 AO) isoliert auf. Die Beteiligten erklärten daraufhin dieses Klageverfahren in der Hauptsache für erledigt.
Im Anschluss daran wies die LFK den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Während der hiergegen erhobenen Klage wurde die FAZVO geändert. Danach war die LFK nicht (mehr) zuständig für Abrechnungsbescheide, die Anrechnungen auf die ESt gemäß § 36 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 EStG betreffen. Das FG (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.10.2020, 5 K 1511/17, Haufe-Index 1424320) gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH hat der Revision der LFK stattgegeben. Das FG hatte das Urteil gegen die falsche Beklagte erlassen. Mangels Beteiligung des richtigen Beklagten am Revisionsverfahren konnte der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden. Das zuständige FA hatte weder Revision eingelegt noch hat es der Prozessführung durch die LFK im Revisionsverfahren zugestimmt. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Hinweis
1. Im vorliegenden Fall liegt einer der seltenen Fälle vor, dass sich während des finanzgerichtlichen Verfahrens die sachliche Zuständigkeit des FA ändert. Wird nach der Erhebung der Klage statt der beklagten Behörde eine andere Finanzbehörde zuständig, so bleibt die prozessuale Stellung der beklagten Behörde zwar grundsätzlich unberührt. Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn der Zuständigkeitswechsel auf einem Organisationsakt der Verwaltung beruht. In diesem Fall kommt es zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel, der dazu führt, dass das neu zuständig gewordene FA ohne Verfahrensunterbrechung auf der Beklagtenseite in den anhängigen Rechtsstreit eintritt.
2. Das FG hatte dies verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt und sein Urteil gegen die zunächst zuständige Landesfinanzkasse (LFK) als falsche Beklagte erlassen. Aufgrund dieses Verfahrensfehlers war die LFK zur Revisionseinlegung berechtigt. Auch der falsche Beklagte muss die Möglichkeit haben, das zu Unrecht gegen ihn ergangene Urteil zu beseitigen. Daneben hat auch der am Verfahren bislang noch nicht beteiligte richtige Beklagte die Möglichkeit, Revision einzulegen.
3. Nach diesen Grundsätzen ist das FG-Urteil rechtsfehlerhaft, weil das FG die passive Prozessführungsbefugnis der LFK im Urteilszeitpunkt zu Unrecht bejaht hat. Es hat die LFK weiterhin als Beteiligte angesehen, obgleich ihre passive Prozessführungsbefugnis entfallen und auf das FA übergegangen war. Die Prozessführungsbefugnis der beklagten Behörde ist eine Sachurteilsvoraussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens, deren fehlerhafte Beurteilung durch das FG einen Verfahrensmangel darstellt.
4. Der Mangel der fehlenden Prozessführungsbefugnis der LFK wurde auch nicht durch eine Zustimmung des FA zur Prozessführung geheilt. Zwar kann die mangelnde passive Prozessführungsbefugnis durch die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung des richtigen Beklagten zur Prozessführung jederzeit – also auch noch während des Revisionsverfahrens – geheilt werden. Dies ist im Streitfall jedoch nicht erfolgt. Daher war der Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.12.2022 – VIII R 33/20