Leitsatz
Im Gesamtvollstreckungsverfahren kann der Gläubiger auch dann aufrechnen, wenn im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens die Forderung des Gemeinschuldners, gegen die er aufrechnet (Hauptforderung), erst aufschiebend bedingt entstanden ist.
Normenkette
§ 47 AO , § 226 Abs. 1 AO , § 387 BGB , § 7 Abs. 5 GesO , § 54 Abs. 1 KO , § 95 Abs. 1 InsO
Sachverhalt
Der Gesamtvollstreckungsverwalter einer GmbH machte mit Umsatzsteuererklärung vom Februar 1999 einen Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch für das Jahr 1998 geltend, der sich aus der Uneinbringlichkeit von vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens vereinbarten Entgelten für umsatzsteuerpflichtige Leistungen der Gemeinschuldnerin ergab.
Das FA verrechnete das Guthaben mit Investitionszulage-Rückforderungen für die Jahre 1993 und 1994, die gegenüber der Gemeinschuldnerin bestanden. Es erließ darüber einen Abrechnungsbescheid, gegen den sich die Klage richtet. Der Verwalter sieht § 54 KO und § 95 Abs. 1 InsO als nicht anwendbar an.
Entscheidung
Der BFH hat dem FA Recht gegeben. § 7 Abs. 5 GesO sei durch eine entsprechende Anwendung von Vorschriften der KO, deren Regelungsgehalt in die spätere InsO übernommen worden ist, zu ergänzen. Mit dem aus der Umsatzsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 entstandenen Anspruch könne das FA im Gesamtvollstreckungsverfahren aufrechnen.
Hinweis
1.§ 7 Abs. 5 GesO lässt ebenso wie KO und InsO eine Aufrechnungserklärung im Verfahren der Gesamtvollstreckung zu, soweit der Gläubiger zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zur Aufrechnung berechtigt war. Dazu gehört neben einer fälligen Gegenforderung des Gläubigers eine erfüllbare gleichartige Hauptforderung des Gemeinschuldners bei Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. § 7 Abs. 5 GesO sieht die Aufrechnung gegen erst während des Gesamtvollstreckungsverfahrens unbedingt werdende Forderungen des Gemeinschuldners aber nicht vor.
Der BFH hat insoweit jedoch eine "planwidrige Regelungslücke" angenommen. Er sieht (ebenso wie schon einige Entscheidungen des BGH) die GesO als ein insgesamt fragmentarisches, ergänzungsbedürftiges Regelwerk an. Durch entsprechende Anwendung des § 54 Abs. 1 KO schließt er diese Lücke und lässt die Aufrechnung gegen erst während des Verfahrens unbedingt werdende Forderungen zu. § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO lässt jetzt ebenfalls bei nach Verfahrenseröffnung vorgenommenen Wertberichtigungen von umsatzsteuerpflichtigen Forderungen der Gemeinschuldnerin eine Aufrechnung des FA grundsätzlich zu.
2. Werden umsatzsteuerpflichtige Forderungen der Gemeinschuldnerin nach Verfahrenseröffnung uneinbringlich, ist der Steuerbetrag (erst) auf diesen Zeitpunkt zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 UStG). Bei einer Vorsteuerberichtigung nämlich wird nicht die ursprüngliche Steuerfestsetzung (Anmeldung) ähnlich wie in den Fällen des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert, sondern die neue Tatsache (Uneinbringlichkeit der Forderung usw.) in dem Veranlagungszeitraum berücksichtigt, in dem sie eintritt. Erst dann entsteht ein Erstattungsanspruch wegen der geleisteten Umsatzsteuer. Der Steuererstattungsanspruch wird also steuerrechtlich gesehen erst während des Gesamtvollstreckungsverfahrens erfüllbar.
Allerdings ist der Rechtsgrund dieses Erstattungsanspruchs in der Zeit vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens gelegt worden, nämlich durch die Besteuerung der für die Leistungen vereinbarten Entgelte. Der erste Rechtsgrund hierfür ist nämlich der zivilrechtliche Abschluss eines (zunächst) umsatzsteuerpflichtigen Geschäfts. Dadurch entsteht bereits ein aufschiebend bedingter Erstattungsanspruch (vgl. BFH, Urteil vom 4.8.1987, VII R 11/84, BFH/NV 1987, 707; ähnlich BFH, Urteil vom 9.4.2002, VII R 108/00, BFH-PR 2002, 390, im Falle der Rückgängigmachung einer steuerpflichtigen Leistung nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG; vgl. aber auch BFH, Urteil vom 13.11.1986, V R 59/79, BStBl II 1987, 226 zu der Frage, ob ein Vorsteuer-Rückforderungsanspruch des FA als Konkursforderung i.S.d. § 3 Abs. 1 KO zu qualifizieren ist). Deshalb hat der BFH die Erstattungsforderung trotz ihrer eben dargestellten steuertechnischen Ausgestaltung als eine Forderung behandelt, die gesamtvollstreckungs- bzw. insolvenzrechtlich bereits bei Abschluss des umsatzsteuerpflichtigen Geschäfts entstanden ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.7.2004, VII R 28/03