Kommentar
Im Streitfall hatte sich ein Steuerberater von seinem Mandanten (M) dessen Einkommensteuererstattungsanspruch für 1988 abtreten lassen. Die Abtretungsanzeige des Steuerberaters ging am 5. 1. 1990 beim Finanzamt ein. Erst danach, nämlich mit Haftungsbescheid v. 28. 3. 1990 – Zahlungsaufforderung bis zum 30. 4. 1990 – nahm das Finanzamt den Mandanten M als Geschäftsführer einer GmbH in Anspruch. Der Einspruch des M gegen den Haftungsbescheid blieb erfolglos. Mit Verfügung vom 21. 5. 1990 teilte das Finanzamt schließlich dem Steuerberater mit, es könne der Abtretungsanzeige nicht entsprechen, da mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis habe aufgerechnet werden müssen ( Abtretung ; Aufrechnung ).
Einspruch, Klage und Revision gegen den daraufhin erlassenen Abrechnungsbescheid des Finanzamts hatten keinen Erfolg. Der BFH entschied, das Finanzgericht sei zu Recht davon ausgegangen, daß M als Geschäftsführer der von ihm vertretenen GmbH den Haftungstatbestand gemäß § 34 AO , § 69 AO spätestens am 10. 12. 1989 erfüllt habe, denn die bis zu diesem Fälligkeitszeitpunkt abzuführende Lohnsteuer und Kirchensteuer für November 1989 habe M pflichtwidrig nicht an das Finanzamt entrichtet. Der Haftungsanspruch , gegen den Einwendungen wegen der Bestandskraft des Haftungsbescheids ausgeschlossen waren, sei damit spätestens am 10. 12. 1989 , mihin vor Kenntniserlangung des Finanzamts von der Abtretung des Steuererstattungsanspruchs (5. 1. 1990), entstanden . Denn der Haftungsanspruch des Finanzamts entstehe, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen des Haftungstatbestands erfüllt sind. Für die Entstehung des Anspruchs komme es nicht auf den späteren Erlaß des Haftungsbescheids (28. 3. 1990) an. Das Finanzamt sei deshalb gem. § 406 BGB befugt gewesen, mit seiner vor Kenntnis der Abtretung des Erstattungsanspruchs erworbenen Gegenforderung auch dem Steuerberater als Neugläubiger gegenüber aufzurechnen.
Zu Recht habe das Finanzgericht entschieden, daß auch der die Aufrechnung gegenüber dem Neugläubiger nach § 406 BGB hindernde zweite Ausnahmetatbestand – Fälligkeit der Gegenforderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung – nicht vorliegt. Der Haftungsanspruch des Finanzamts als zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung ist nach dem in dem Haftungsbescheid enthaltenen Leistungsgebot mit dem Ablauf der eingeräumten Zahlungsfrist zum 30. April 1990 fällig geworden ( § 220 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative AO ). Damit ist die Gegenforderung zwar nach der Erlangung der Kenntnis von der Abtretung (5. 1. 1990), aber nicht – wie der Ausschlußtatbestand weiter voraussetzt – später als die abgetretene Forderung fällig geworden, denn die Fälligkeit des abgetretenen Steuererstattungsanspruchs ist – wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat – jedenfalls nicht vor der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 1988 an M, die nach den Feststellungen des Finanzgerichts erst am 21. 5. 1990 erfolgt ist, eingetreten ( § 220 Abs. 2 Satz 2 AO ).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.10.1996, VII R 46/96
Hinweis:
Die sorgfältig begründete Entscheidung entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 116 der Reichsabgabenordnung ( BFH, Urteil v. 2. 5. 1984, VIII R 239/82, BStBl 1984 II S. 695 ). Sie läßt sich auch auf die positiven Regelungen des neuen Rechts, nämlich § 191 Abs. 3 Satz 3 AO 1977, stützen. Danach beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Da der Beginn der Festsetzungsfrist die Entstehung des Anspruchs voraussetzt, geht § 191 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 offensichtlich davon aus, daß die Entstehung des Anspruchs von dessen Festsetzung durch einen Haftungsbescheid unabhängig ist; denn der Beginn der Festsetzungsfrist setzt die Entstehung des Anspruchs voraus.