Leitsatz
1. Besteht zwischen einer Haftungsforderung und einem Erstattungsanspruch (hier: hinsichtlich des Bundesanteils von einer Organgesellschaft gezahlter USt) materiell-rechtlich Gegenseitigkeit, kann die Körperschaft, welche den Erstattungsanspruch verwaltet, die Aufrechnung erklären, selbst wenn sie nicht Gläubiger der Haftungsforderung ist und diese auch nicht verwaltet (Rd.Nr. 21, Rd.Nr. 22).
2. Das FA kann in einem Insolvenzverfahren mit Haftungsforderungen aufrechnen, die vor der Eröffnung des Verfahrens entstanden sind, ohne dass es des vorherigen Erlasses eines Haftungsbescheids, der Feststellung der Haftungsforderung oder ihrer Anmeldung zur Tabelle bedarf.
Normenkette
§ 37, § 73, § 191 Abs. 1, § 220 Abs. 2, § 226 Abs. 1, § 226 Abs. 4 AO, § 387 BGB, § 7 Abs. 5 GesO, § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
Sachverhalt
Nach Aufdeckung umsatzsteuerrechtlicher Organschaft während eines Gesamtvollstreckungsverfahrens erließ das zuständige FA in NRW gegen die Organträgerin einen Haftungsbescheid nach § 73 AO. Mit dem daraus resultierenden Anspruch erklärte das für die Organgesellschaft zuständige brandenburgische FA die Aufrechnung gegen den USt-Vergütungsanspruch derselben, welche bisher die USt angemeldet und bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeführt hatte. Den darüber erlassenen Abrechnungsbescheid focht der Verwalter jedoch an.
Entscheidung
Ohne Erfolg! Entgegen der Auffassung des FG (EFG 2005, 1906) hält der BFH die Aufrechnung aus den Praxis-Hinweisen zu entnehmenden Erwägungen für wirksam.
Hinweis
1. Eine Aufrechnung des FA gegen einen Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen (Hauptforderung) im Insolvenz- oder dem früheren Gesamtvollstreckungsverfahren setzt nicht voraus, dass dieser durch Verwaltungsakt oder durch einer Festsetzung gleichstehende Steueranmeldung festgesetzt worden ist (vgl. schon BFH, Urteil vom 4.5.2004, VII R 45/03, BFH-PR 2004, 410). Sie setzt ebenso wenig voraus, dass die Gegenforderung durch Bescheid festgesetzt ist; im Insolvenzverfahren wird sie vielmehr auch ohne Festsetzung fällig, und sie bedarf auch für ihr Entstehen nur der Verwirklichung des materiellen steuerrechtlichen Tatbestands, nicht der Festsetzung durch Steuerbescheid. Das gilt auch für eine Haftungsforderung (obwohl die Haftungsinanspruchnahme Ermessensentscheidung ist).
2. Gegen eine Forderung auf Vergütung von USt kann das FA auch dann aufrechnen, wenn die USt-Festsetzungen gegen die Gemeinschuldnerin noch Bestand haben; denn das FA kann eine materiell zu Urecht gezahlte Steuer dem Steuerpflichtigen erstatten, auch wenn die Steuerfestsetzung noch nicht aufgehoben worden ist.
3. Gegenseitigkeit von Steuer- und Erstattungsforderung besteht nach § 226 Abs. 4 AO auch bei nur materiell-rechtlich (nach der Ertragshoheit) im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Forderungen, wenn die Aufrechnung von einer Körperschaft erklärt wird, die weder Gläubiger noch Schuldner ist und die auch nicht beide Forderungen verwaltet. Es ist also für eine Aufrechnung nicht erforderlich, dass die aufrechnende Körperschaft sowohl Gläubiger als auch Schuldner der betreffenden steuerlichen Forderungen ist oder zumindest beide verwaltet oder bei der hinsichtlich der einen Forderung das eine, hinsichtlich der anderen das andere der Fall ist.
Die immer wieder bekämpfte Rechtsprechung des BFH, dass eine Abtretung von Steuerforderungen zwischen Hoheitsträgern möglich sei, dürfte damit kaum praktische Bedeutung haben.
Auch eine im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch durch die Aufhebung einer rechtswidrigen USt-Festsetzung aufschiebend bedingte Forderung ist im insolvenzrechtlichen Sinn bereits entstanden; § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht der Aufrechnung im Insolvenzverfahren daher nicht entgegen. Ähnliches nimmt die neuere Rechtsprechung des BFH auch bei allen sonstigen Erstattungs- oder Vergütungsforderungen an, die der Kompensation einer früheren Steuerzahlung dienen sollen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.5.2007, VII R 18/05