Obwohl die grundlegende Methodik der Auftragskalkulation an sich nicht kompliziert ist, birgt sie doch erhebliches Problempotenzial in der Praxis. Aufgrund eigener Erfahrung soll insbesondere auf zwei Problemfelder hingewiesen werden:
- die Schwierigkeit, in einem schwankenden auftragsgetriebenen Geschäft "richtige" Gemeinkostenzuschlagssätze zu bestimmen, sowie
- der hohe organisatorische Aufwand der Prognose der Einzelkosten bzw. der Kostentreiber.
Beide Probleme treten so nur bei der Kalkulation auf Plandaten auf, d. h., wenn z. B.
- im Verlauf der Vorkalkulation der technische und wirtschaftliche Aufwand eines Auftrags insgesamt bzw.
- im Rahmen der mitlaufenden Kalkulation der technische und wirtschaftliche Aufwand des noch nicht fertiggestellten Teils eines Auftrags
bestimmt werden müssen.
3.3.1 Gemeinkostenzuschläge bei stark schwankender Auslastung
Auslastungsschwankungen im Anlagenbau …
Gerade im Anlagengeschäft haben die Unternehmen sehr häufig mit einer stark schwankenden Auslastung zu tun. Beispielsweise schwankte der Auftragseingang der oben erwähnten SMS Group von 2009 bis 2015 zwischen 2,3 und 3,4 Mrd. Euro.
… sorgen für schwankende Zuschlagssätze
Schwankungen im Auftragseingang treten im Umsatz des Unternehmens deutlich gemildert auf, führen aber in Bezug auf die nachlaufenden Mitarbeiterzahlen zu deutlichen Auslastungsschwankungen. In der Kalkulation bedeutet dies, dass in guten Jahren der Anteil der Gemeinkosten an den gesamten Kosten des Unternehmens wesentlich geringer ist als in schlechten Jahren und somit die Gemeinkostenzuschlagssätze stark variieren.
Unsicherheiten in der Budgetplanung
Zusätzlich verstärkt wird diese Problematik dadurch, dass bei vielen Unternehmen zum Zeitpunkt der operativen Planung ("Budgetierung"), auf deren Daten die Zuschlagssätze i. a. R. festgelegt werden, weniger als 50 % des für eine volle Kapazitätsauslastung notwendigen Auftragsbestands erreicht werden. Trotzdem werden in der Budgetierung natürlich ein konkreter Auftragseingang, ein konkretes Absatz- und Produktprogramm und damit eine konkrete Kapazitätsauslastung für alle Kostenstellen im kommenden Geschäftsjahr unterstellt und Gemeinkostensätze errechnet. Dies gilt für die differenzierte Lohnzuschlagskalkulation, für die Maschinenstundensatzkalkulation und für die prozesskostenbezogene Zuschlagskalkulation gleichermaßen. Gerade die Prozesskostenrechnung unterstellt ja für jede beteiligte Kostenstelle neben den Gesamtkosten Planwerte für die Kostentreiber. Ändern sich diese, ergeben sich deutlich veränderte Prozesskostensätze.
Abb. 5: Auftragseingang der SMS Gruppe 2009 – 2015
Auslastungsschwankungen führen zu Problemen in der Vorkalkulation:
- Liegt die tatsächliche Auslastung zum Zeitpunkt der Vorkalkulation höher, als bei der Bestimmung der Gemeinkostenzuschlagssätze in der Budgetierung angenommen, geht man mit zu hohen Selbstkosten des Auftrags in die Preisverhandlungen und läuft Gefahr, sich aus dem Markt herauszukalkulieren.
- Andererseits hat man im Rahmen einer Marktabschwächung auf Basis von zu niedrigen Zuschlagssätzen kaum die Möglichkeit, seine Aufträge auf Vollkostenbasis kostendeckend zu verkaufen bzw. abzuwickeln.
3.3.2 Lösungsmöglichkeiten des Auslastungsproblems
In der Kostentheorie wird die Deckungsbeitragsrechnung als Lösung der allgemeinen Problematik der Preisfindung auf Basis der Vollkostenrechnung angeboten. Letztlich hilft diese in der Praxis des kundenindividuellen Auftragsgeschäfts nur beschränkt weiter, da das Management des Unternehmens immer noch prognostizieren muss, wie viele Aufträge das Unternehmen in der kommenden Periode "an Land ziehen" muss, um einen sinnvollen Zieldeckungsbeitrag für den einzelnen Auftrag festzulegen.
Welche Lösung kann man hier anbieten? Letztlich empfiehlt sich aus unserer Sicht – insbesondere im Hinblick auf die organisatorischen Probleme, die wir im nachfolgenden Kapitel behandeln werden –, mehrere Szenarien in der Kalkulation bereitzustellen: die Teilkostenkalkulation auf reinen variablen Kosten im Sinne der Deckungsbeitragsrechnung sowie zwei zusätzliche Vollkostenkalkulationen:
- eine Kalkulation mit "Worst Case"-Zuschlagssätzen sowie
- eine weitere mit "Best Case"-Zuschlagssätzen.
Nur so kann man vor den Preisverhandlungen ein Gefühl für die Schwankungsbreite der Kosten erlangen.
3.3.3 Hoher Prognoseaufwand im Auftragsgeschäft
Vorgehen bei der Auftragsplanung
Bereits die Planung der Einzelkosten, d. h. insbesondere der Materialkosten sowie der Fertigungslöhne, bedeutet je nach Größe und Komplexität des Auftrags einen erheblichen Aufwand:
- Zunächst wird ein funktionsorientierter Auftragsstrukturplan aufgestellt. Am Beispiel eines Auftrags zum Aufbau einer Destillationskolonne ist dies in Abb. 6 dargestellt.
- Aufbauend auf dem Auftragsstrukturplan wird durch das Engineering sowohl eine Materialliste als auch ein Netzplan für die Fertigung des Auftrags erstellt. Dieser kann klassisch oder aber als Gantt-Diagramm dargestellt werden (s. Abb. 7).
- Auf Basis der Material- und Zeitschätzungen können nun erste Kostenkalkulationen mit Plankostensätzen erfolgen.
Je nach Auftragsgröße können das technische Engineering eines Auftrags und die da...