Wie im Rahmen der "Hockeysticks" schon erwähnt, sind sich einzelne Mitarbeiter häufig längere Zeit der Probleme in Aufträgen bewusst, bevor diese die notwendige Management-Awareness erhalten. Ursachen hierfür sind u. a.:
- die Hoffnung der Mitarbeiter, alles noch hinbiegen zu können,
- die individuelle Angst vor Konsequenzen, wenn der eigene Auftrag Probleme macht, oder
- Druck von außen durch den Vorgesetzten oder Kollegen.
Problemaufträge frühzeitig identifizieren
Aus unserer Sicht muss durch geeignete Prozesse sichergestellt werden, dass potenzielle Problemaufträge so früh wie möglich erkannt werden. Nur so kann aktiv – z. B. im Rahmen des Claim Management – auf drohende Verluste reagiert werden. Gerade in größeren Unternehmen, in denen Mitarbeiter mit heterogener Erfahrung verschiedene Aufträge in unterschiedlichen Stadien des ALC parallel abwickeln, benötigt das Management wirksame Kennzahlen, um die "faulen Eier" im Auftragsportfolio zielsicher und frühzeitig identifizieren zu können.
Während Meilenstein- und Kosten-Trend-Diagramme eher der Detailanalyse eines Auftrags dienen, haben wir mit dem Leistungsfortschritt aus der POC-Methode bereits eine solche Kennzahl beschrieben, die Earned-Value-Analyse (EVA).
Im Rahmen des Multiauftrags-Controllings sind noch etliche weitere KPI denkbar. Sinnvoll ist hier die Verwendung der Kennzahlen aus der Earned-Value-Analyse (EVA), bei der es sich um ein Kennzahlensystem zur Beschreibung des wirtschaftlichen und zeitlichen Fortschritts von Aufträgen handelt.
5.4.1 Nutzen der Earned-Value-Analyse
Die EVA ist ursprünglich in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt worden. Zentrale Kennzahl der Earned-Value-Analyse ist der Earned Value (EV), im Deutschen auch als Leistungswert bezeichnet. Der Earned Value definiert sich als die Summe der "Werte" aller zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossenen Arbeitspakete eines Auftrags. Als "Werte" der Arbeitspakete setzt man ihre jeweiligen ursprünglich kalkulierten Plankosten an (s. Abb. 11).
Der Verlauf der Earned-Value-Kurve zeigt im Vergleich mit der Plankostenkurve (Planned Value = PV) den Auftragsfortschritt. Aus dem Verlauf der Kurven am Beispiel des Aufbaus der Destillationskolonne in Abb. 11 lässt sich entnehmen, dass am 15.10.05 bereits Arbeitspakete mit Plankosten von ca. 150 TEUR abgeschlossen sein sollten. Der Verlauf der EV-Kurve zeigt aber, dass letztlich nur Arbeitspakete mit Plankosten in Höhe von lediglich ca. 100 TEUR erfolgreich beendet wurden. Allerdings sind trotzdem – wie man aus der Istkosten-Kurve (Actual Cost = AC) entnehmen kann – schon mehr Istkosten angefallen als geplant. Der Auftrag befindet sich also zeitlich im Verzug und hat zudem die Kosten überschritten.
Abb. 11: Earned-Value-Analyse (EVA) am Beispiel der Destillationskolonne
5.4.2 Kennzahlen der EVA
Im Rahmen der Earned-Value-Analyse werden verschiedene Kennzahlen auf Basis der Grundkennzahlen EV, PV und AC errechnet.
Die absolute Abweichung zwischen Earned Value (EV) und Planned Value (PV) wird als Zeitvarianz bezeichnet.
Zeitvarianz = EV - PV
Die entsprechende Verhältniskennzahl ist der Schedule-Performance-Index (SPI):
Die Kostenvarianz ergibt sich aus der Differenz von Earned Value und Istkosten (Actual Cost = AC), der Cost-Performance-Index aus dem entsprechenden Verhältnis.
Kostenvarianz = EV – AC
Werte des CPI oder des SPI unter 1,0 weisen auf Abweichungen, d. h. Kosten- bzw. Zeitüberschreitungen, hin.
Aus dem CPI lassen sich auch einfache Kostenprognosen für den Gesamtauftrag erstellen. Die geschätzten Gesamtkosten (Estimate at Completion = EAC) berechnen sich wie folgt, wobei BAC (= Budget at Completion) für die ursprünglich geplanten Gesamtkosten steht.
Es ergibt sich also insgesamt ein geschlossenes Kennzahlensystem, das über den zeitlichen und kostenbezogenen Status des Auftrags Aufschluss gibt. Vorrausetzung für die EVA ist allerdings, dass der Auftrag in zahlreiche, in sich abgeschlossene Arbeitspakete untergliedert werden kann.