Leitsatz
1. Der Steuerpflichtige verliert durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nicht generell die Befugnis, von ihm getätigte bzw. ihm zurechenbare Aufwendungen als Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 EStG abzuziehen.
2. Bewegen sich seine Aufwendungen außerhalb des durch die InsO vorgegebenen Rahmens, sind der steuerrechtlichen Beurteilung die sich aus §§ 40, 41 Abs. 1 AO ergebenden Wertungen zugrunde zu legen.
3. An den in der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung anerkannten Zurechnungsgrundsätzen für von einem Ehegatten-Gemeinschaftskonto (Oder‐Konto) vorgenommene Schuldzinszahlungen ist auch im Falle der Insolvenz des einen Betriebsausgabenabzug beanspruchenden Ehegatten festzuhalten.
Normenkette
§ 40, § 41 Abs. 1 Satz 1 AO, , § 185, § 267, § 328, § 362 Abs. 2, § 426, § 675c BGB, § 676a BGB a.F., § 2 Abs. 1 und 2, § 4 Abs. 4 und 4a, § 24 Nr. 2, § 26b, § 52 Abs. 6 Sätze 6 und 7 EStG, § 92 Abs. 3, § 121 Satz 1, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 139 Abs. 3 Satz 3, § 143 Abs. 2 FGO, § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Nr. 1, § 80 Abs. 1, § 81 Abs. 1 Satz 1, § 84, § 87, § 89, § 174 Abs. 3 InsO, § 116 Satz 3, § 300 InsO a.F., § 850, § 850c Abs. 1, § 850k ZPO
Sachverhalt
Die verheirateten Kläger wurden im Streitjahr 2007 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen Anfang März 2006 hatte die Klägerin einen Einzelhandel betrieben. In der Einkommensteuererklärung 2007 machte die Klägerin bei ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb nachträgliche Betriebsausgaben geltend, die sich im Wesentlichen aus unstreitig betrieblich veranlassten Schuldzinsen zusammensetzten. Diese beruhten u.a. auf Darlehnsverträgen, bei denen entweder beide Kläger oder der Kläger allein Darlehnsnehmer waren. Die Schuldzinsen wurden von dem gemeinsamen Bankkonto der Kläger gezahlt, das als Oder-Konto geführt wurde. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens konnte der Kläger weiterhin uneingeschränkt über das Oder-Konto verfügen. Der Insolvenzverwalter war nicht in die Schuldzinszahlungen involviert und hat diese insbesondere nicht – auch nicht nachträglich – genehmigt. Das FA ließ den nachträglichen Betriebsausgabenabzug nicht zu. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG begründete die von ihm bestätigte Nichtabziehbarkeit der Schuldzinsen damit, dass die Klägerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens tatsächlich keine Zinsen mehr im Sinne eines Eigenaufwands gezahlt habe und diese nach insolvenzrechtlichen Maßstäben auch rechtlich nicht mehr wirksam habe leisten können (FG München, Urteil vom 21.2.2012, 10 K 3566/09, Haufe-Index 3281598, EFG 2012, 1990).
Entscheidung
Die Revision der Kläger war begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Der BFH war der Auffassung, dass die Klägerin durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen nicht generell die Befugnis verloren habe, ihr zurechenbare Aufwendungen als Betriebsausgaben abzuziehen. Es fehle jedoch ein betrieblicher der Klägerin zuzurechnender Eigenaufwand in Bezug auf die vom Kläger allein aufgenommenen Darlehen. Eine solche Zurechnung sei lediglich in Bezug auf die von den Klägern gemeinsam aufgenommenen gesamtschuldnerischen Darlehen anzunehmen, da der Insolvenzverwalter sich nicht gegen die Zahlungen vom Oder-Konto gewandt habe. Die Sache war jedoch nicht spruchreif, weil finanzgerichtliche Feststellungen in Bezug auf mögliche Überentnahmen i.S.v. § 4 Abs. 4a EStG fehlten.
Hinweis
1. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit dem gemäß § 80 Abs. 1 InsO eingetretenen Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter bedeutet nicht generell, dass ein Steuerpflichtiger die originär ihm zustehende Befugnis verliert, von ihm getätigte bzw. ihm zurechenbare Aufwendungen als Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 EStGabzuziehen.
Die nach Maßgabe von § 80 Abs. 1 i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO eintretenden Rechtsfolgen beziehen sich nämlich ausdrücklich nur auf "das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen" bzw. "einen Gegenstand der Insolvenzmasse" i.S.d. §§ 35ff. InsO. Im Umkehrschluss hierzu ergibt sich zum einen, dass der Schuldner außerhalb der Insolvenzmasse stehendes – insolvenzfreies – Vermögen nach wie vor frei verwalten und uneingeschränkt darüber verfügen darf. Zum anderen ist in der höchstrichterlichen Insolvenzrechtsjudikatur anerkannt, dass der Schuldner seine Verbindlichkeiten auch durch Einschaltung (Anweisung) Dritter – d.h. den Einsatz von Mitteln, die nicht (als Neuerwerb) in sein haftendes Vermögen gelangt sind – begleichen darf. Derartige Zahlungen sind aber nur bei Anweisung auf Kredit (anders als bei Anweisung auf Schuld) insolvenzrechtlich nicht anfechtbar, da in diesem Fall lediglich ein den Bestand der Insolvenzmasse unberührt lassender Gläubigerwechsel stattfindet.
2. Bei der Prüfung, ob bzw. inwieweit durch § 80 Abs. 1, § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO die Befugnis des Steuerpflichtigen und Insolvenzschuldners zur Zuweis...