Leitsatz

Fehlt es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten in der Rechtsbehelfsschrift, hat das FG den wirklichen Willen des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärung zu ermitteln. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen.

 

Normenkette

§ 357 Abs. 1 S. 4 und Abs. 3 S. 1 AO, § 118 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Gegen den ESt-Bescheid 2001 legte der ehemalige Bevollmächtigte der Kläger mit Schreiben vom 29.08.2002 "Einspruch" ein. Er führte dazu aus, der Einspruch richte sich gegen die Festsetzung eines Kirchgelds für die Ehefrau. Hierauf erklärte das FA u.a., der Einspruch werde als Widerspruch gegen den KiSt-Bescheid behandelt.

Nach mehrfacher Bitte um Stellungnahme meldete sich schließlich der jetzige Bevollmächtigte der Kläger im Oktober 2002 und erklärte, der Einspruch gegen den ESt-Bescheid 2001 werde aufrechterhalten. Neben der Herabsetzung des Kirchgelds machte er (erstmals) weitere Werbungskosten geltend.

Schließlich setzte das FA das Kirchgeld antragsgemäß herab und wies den Einspruch gegen den ESt-Bescheid zurück.

Das FG (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.05.2004, 5 K 1348/03, Haufe-Index 1373031) wies die Klage wegen ESt 2001 ab. Das Schreiben vom 29.08.2002 könne nur als Rechtsbehelf gegen die KiSt-Festsetzung angesehen werden. Einspruch (mit entsprechender Begründung) gegen die ESt 2001 sei erst im Oktober 2002 nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist und damit verspätet eingelegt worden.

 

Entscheidung

Die Revision der Kläger blieb erfolglos. Die Kläger hätten zwar (rechtzeitig) angeführt, es werde Einspruch gegen den ESt-Bescheid eingelegt. Eine Beschwer hätten die Kläger allerdings nicht dargelegt, sondern ausgeführt, dass sich der Einspruch gegen die Festsetzung eines Kirchgelds für die Ehefrau richte, und dies kurz begründet. Angesichts der Widersprüchlichkeiten habe das FG die Erklärungen der Kläger zu Recht als auslegungsbedürftig und auslegungsfähig angesehen.

Die vom FG vorgenommene Auslegung, der eingelegte Rechtsbehelf sei als Widerspruch gegen den KiSt-Bescheid zu werten, lasse einen Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze nicht erkennen. Die Auslegung habe sich ersichtlich an dem von den Klägern dargelegten Rechtsschutzziel orientiert, sich gegen die Festsetzung des Kirchgelds zu wenden.

 

Hinweis

1. Das Besprechungsurteil wurde nachträglich auf Wunsch der Finanzverwaltung zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt. Es macht nochmals darauf aufmerksam, dass in Sammelbescheiden (z.B. wie hier ESt-Bescheid und KiSt-Bescheid) verschiedene Verwaltungsakte (Bescheide) zusammengefasst werden, die grundsätzlich selbstständig anfechtbar sind. Der Rechtssuchende hat deshalb sorgfältig zu prüfen, welches Rechtsschutzziel er verfolgen will bzw. ob und in welcher Weise gegen den betreffenden Einzelbescheid vorzugehen ist. Das Urteil fasst die Grundsätze zusammen, wie Rechtsbehelfe auszulegen sind und in welchem Umfang die vom FG vorgenommene Auslegung revisionsrechtlich überprüfbar ist.

2. Nach § 357 Abs. 3 S. 1 AO "soll" bei der Einlegung des Rechtsbehelfs der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Danach ist die Rechtswirksamkeit des eingelegten Rechtsbehelfs nicht von einer genauen Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts abhängig. Es ist jedoch erforderlich, dass sich die Zielrichtung des Begehrens aus der Rechtsbehelfsschrift in der Weise ergibt, dass sich der angefochtene Verwaltungsakt entweder aus dem Inhalt der Rechtsbehelfsschrift selbst ermitteln lässt oder Zweifel oder Unklarheiten am Gewollten durch Rückfragen des FA beseitigt werden können.

3. Fehlt es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des tatsächlich Gewollten, ist der wirkliche Wille des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärungen zu ermitteln. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen.

4. Die Auslegung eines Einspruchs ist Gegenstand der vom FG zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die der BFH (als Revisionsgericht) grundsätzlich gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO). Der BFH kann die Auslegung durch das FG nur daraufhin überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat. Revisionsrechtlich in vollem Umfang nachprüfbar ist indes, ob der einschlägige Einspruch auslegungsbedürftig ist. Dies ist nicht der Fall, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 08.05.2008 – VI R 12/05

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