LSt Niedersachsen v. 20.11.2017, S 0130 - 305 - St 142
1. Amtsgeheimnis/Amtsverschwiegenheit
Bedienstete der Finanzverwaltung (Beamte/Tarifbeschäftigte) bedürfen für Aussagen vor den Gerichten über Angelegenheiten, die ihnen bei ihrer amtlichen/dienstlichen Tätigkeit bekannt geworden sind, der Genehmigung des Dienstvorgesetzten (Beamte gem. § 37 BeamtStG, Tarifbeschäftigte gem. § 3 TV-L). Ein Muster einer Aussagegenehmigung ist unter Tz. 3 dargestellt. Weitere Einzelheiten zur Aussagegenehmigung sind in der Personalkartei P 10 – 12 Karte 1 enthalten.
Die Erteilung der Aussagegenehmigung durch den Dienstvorgesetzten befreit nur von der Pflicht zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit.
2. Steuergeheimnis
Die Aussagegenehmigung entbindet den Bediensteten nicht von der Pflicht zur Wahrung des Steuergeheimnisses, weil das gesetzliche Gebot des § 30 AO für den Dienstvorgesetzten oder eine vorgesetzte Dienstbehörde nicht disponibel ist. Trotz erteilter Aussagegenehmigung ist deshalb jeweils nach Lage des einzelnen Falles zu prüfen, ob durch das Steuergeheimnis geschützte Kenntnisse im Hinblick auf § 30 Abs. 4 und 5 AO offenbart werden dürfen.
2.1 Aussagen als Zeuge
Die Offenbarungsbefugnisse gem. § 30 Absätze 4 und 5 AO richten sich nach der Art des gerichtlichen Verfahrens.
2.1.1 Finanzgerichtliches Verfahren
Im finanzgerichtlichen Verfahren ergibt sich die Offenbarungsbefugnis aus § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO (AEAO zu § 30 Nr. 4). Die Offenbarung dient steuerlichen Zwecken. Die Verhältnisse des Steuerpflichtigen und die Verhältnisse Dritter dürfen jedoch nur offenbart werden, wenn und soweit sie unmittelbare Bedeutung für die Entscheidung der Streitsache haben.
Beispiele:
Warenbezug, Leistungsaustausch:
Die Verhältnisse der Vertragspartner dürfen offenbart werden, wenn und soweit sie Streitgegenstand sind.
Äußerer Betriebsvergleich für Zwecke der Nachkalkulation:
Es darf nicht offenbart werden, wessen Verhältnisse den Vergleichswerten zugrunde liegen.
2.1.2 Strafverfahren/Bußgeldverfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit
Im Strafverfahren/Bußgeldverfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit ist die Offenbarung vornehmlich nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zulässig, soweit sie der Durchführung dieses Verfahrens, d.h. der Verfolgung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit dient (AEAO zu § 30 Nr. 4). Dies gilt auch bezüglich allgemeiner Straftaten, wenn sie mit der Steuerstraftat untrennbar verknüpft sind und damit einen einheitlichen Lebensvorgang darstellen.
Beispiel:
- Steuerhinterziehung durch Urkundenfälschung oder Falschaussage unter Eid.
2.1.2.2 Verhältnisse anderer Personen als der Beschuldigten
Über die Verhältnisse anderer Personen als der Beschuldigten darf im Strafverfahren/Bußgeldverfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit ausgesagt werden, wenn und soweit diese Verhältnisse mit der Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist, zusammenhängen:
Beispiel:
- Aussage über die Vorteile eines Dritten, zu dessen Gunsten der Beschuldigte die Steuerstraftat/-ordnungswidrigkeit begangen hat; Mittäterschaft.
2.1.2.3 Zweifel an einer Offenbarungsbefugnis
Bei Fragen des Richters, des Staatsanwalts oder des Verteidigers des Beschuldigten im Strafverfahren/Bußgeldverfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit kann nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass die Beantwortung der Durchführung des Verfahrens dient. Hat der Bedienstete Zweifel an einer Offenbarungsbefugnis, so ist er berechtigt – und verpflichtet – zu den entsprechenden Fragen keine Aussage zu machen. Dem Gericht ist zu erklären, dass das Steuergeheimnis die Aussage verbietet. Dies gilt insbesondere bei Fragen von Prozessbeteiligten, die mit dem Gegenstand des Verfahrens offensichtlich nichts zu tun haben.
Beispiel:
- Frage nach einer Unterhaltsverpflichtung des Beschuldigten in einer Umsatzsteuersache (nicht beantworten)
2.1.3 Allgemeine Strafverfahren wegen einer nichtsteuerlichen Straftat
Im allgemeinen Strafverfahren wegen einer nichtsteuerlichen Straftat sind – sofern der Beschuldigte nicht zustimmt – Zeugenaussagen nur unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 4 und 5 (AEAO zu § 30 Nr. 7 und 8) sowie Abs. 5 AO zulässig. Die in der Strafprozessordnung begründeten Auskunftsansprüche der Strafverfolgungsbehörden treten hinter § 30 AO zurück.
Dieser Grundsatz gilt auch, wenn die allgemeine Straftat in Tatmehrheit mit einer Steuerstraftat begangen worden ist:
Beispiel:
- Erkenntnisse über Diebstahl, die mit der Steuerstraftat nicht in Zusammenhang stehen (nicht beantworten)
2.1.4 Zivilgerichtlichen Verfahren
2.1.4.1 Grundsatz
Im zivilgerichtlichen Verfahren steht das Steuergeheimnis einer Aussage grundsätzlich entgegen, es sei denn, der Betroffene hat durch Erklärung gegenüber dem Finanzamt oder vor Gericht (Protokollierung vor einer Aussage des Bediensteten) der Offenbarung zugestimmt.