Leitsatz
1. Beruht eine mit förmlichen Rechtsbehelfen nicht anfechtbare Entscheidung des FG darauf, dass das Gericht eine Vorschrift des Prozessrechts bewusst in einer objektiv greifbar gesetzwidrigen Weise anwendet, steht den Betroffenen die außerordentliche Beschwerde zum BFH zu (Abgrenzung zum BFH, Beschluss vom 5.12. 2002, IV B 190/02, BStBl II 2003, 269).
2. Legt der Steuerpflichtige die Steuererklärung erst im Klageverfahren vor und konnte das FA das Vorbringen des Klägers zu der betreffenden Steuerfestsetzung nach § 364b AO in der Einspruchsentscheidung zu Recht zurückweisen, ist das FA an dem Erlass eines Abhilfebescheids nicht wegen der früheren Zurückweisung des Vorbringens gehindert.
3. Erlässt das FA in einem solchen Fall einen Abhilfebescheid, kann der Kläger die Klage anschließend nicht mehr kostenfrei zurücknehmen.
Normenkette
§ 76 Abs. 3 FGO , § 115 Abs. 1 FGO , § 137 FGO , § 145 FGO , § 172 Abs. 1 AO , § 364b AO , § 321a ZPO , Kostenverzeichnis zu § 11 Abs. 1 GKG Nr. 3110
Sachverhalt
Nachdem die Klägerin keine Steuererklärungen für das Streitjahr abgegeben hatte, hatte das FA Schätzungsbescheide über ESt und USt erlassen. Die dagegen erhobenen Einsprüche begründete die Klägerin auch nach Setzung einer Ausschlussfrist gem. § 364b AO nicht, so dass die Einsprüche zurückgewiesen wurden.
Im anschließenden Klageverfahren wurden schließlich die Steuererklärungen abgegeben, gegen die das FA inhaltlich nichts einzuwenden hatte. Den Erlass von Abhilfebescheiden lehnte das FA allerdings entsprechend einer generell von der Finanzverwaltung vertretenen Linie wegen der im Einspruchsverfahren erfolglos gesetzten Ausschlussfrist ab.
Daraufhin gab das FG der Klage statt und setzte die Steuer entsprechend den Erklärungen fest. Die Kosten des Verfahrens erlegte das FG trotz § 137 Satz 3 FGO teilweise dem FA auf, weil dieses sich pflichtwidrig geweigert habe, einen Abhilfebescheid zu erlassen. Die Revision ließ das FG nicht zu.
Entscheidung
Die vom FA erhobene außerordentliche Beschwerde wies der BFH als unbegründet zurück. Zwar könne man gegen ein unanfechtbares Urteil außerordentliche Beschwerde erheben, wenn das FG eine Vorschrift des Prozessrechts bewusst in einer Weise angewendet habe, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheine. Jedoch sei die Auslegung des § 137 Satz 3 FGO durch das FG zwar fehlerhaft, aber nicht unvertretbar.
Hinweis
1. Seit dem BFH-Beschluss vom 5.12.2002, IV B 190/02 (BStBl II 2003, 269, BFH-PR 2003, 155) hat der BFH mehrfach entschieden, dass zur Beseitigung schweren Verfahrensunrechts in nicht mit ordentlichen Rechtsbehelfen anfechtbaren Entscheidungen der FG und des BFH eine Gegenvorstellung analog § 321a ZPO bei dem Gericht erhoben werden kann, das die Entscheidung getroffen hat. Damit sollte der Anwendungsbereich für die früher außerhalb gesetzlicher Regelung zugelassene außerordentliche Beschwerde entfallen.
Mit der hiesigen Entscheidung stellt der BFH klar, dass es doch noch Fälle geben kann, in denen eine außerordentliche Beschwerde statthaft sein muss. Das ist nämlich dann der Fall, wenn das FG eine Verfahrensvorschrift bewusst in einer Weise auslegt, die objektiv betrachtet unvertretbar ist. In einem solchen Fall wäre eine Gegenvorstellung bei dem FG sinnlos, weil sich das FG ja bereits in Bezug auf die streitige Frage festgelegt hat. Effektiver Rechtsschutz kann in diesem Ausnahmefall nur durch die übergeordnete Instanz, also den BFH, gewährleistet werden.
2. Nach geltender Rechtslage können Rechtsfragen des Gerichtskostenrechts nicht mehr isoliert an den BFH herangetragen werden. In manchen Fällen kann es deshalb dazu kommen, dass Kostenfragen von den FG unterschiedlich gehandhabt werden, ohne dass der BFH für Klarheit sorgen könnte.
a) Eine solche Frage war bislang auch die Auslegung des § 137 Satz 3 FGO, in dem es heißt, dem Kläger seien insoweit die Kosten aufzuerlegen, als vom Gericht Tatsachen zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, die das FA zuvor im Einspruchsverfahren nach wirksamer Ausschlussfrist gem. § 364b AO zurückweisen konnte. Mit der Regelung hatte der Gesetzgeber darauf reagiert, dass der BFH die Ausschlussfrist des FA im anschließenden Klageverfahren nicht berücksichtigt. Dann sollte der Kläger zumindest die Kosten des Klageverfahrens tragen müssen.
Die Regelung würde ins Leere gehen, wenn die Steuererklärung erst im Prozess eingereicht wird, das FA daraufhin einen Abhilfebescheid erlässt und der Kläger dann die Klage zurücknimmt. Denn die Klagerücknahme führte bisher dazu, dass keine Gerichtskosten anfielen. U.a. deshalb hatte die Finanzverwaltung zunächst allgemein den Erlass von Abhilfebescheiden abgelehnt und damit die FG zur Entscheidung durch Urteil gezwungen. Einige FG hatten daraufhin dem FA einen Teil der Kosten auferlegt, während andere dem Wortlaut des § 137 Satz 3 FGO folgend dem Kläger alle Kosten anlasteten.
b) Hierzu hat der BFH im Rahmen der Entscheidung über die außerordentliche Beschwerde Stellung genommen. Die Entscheidung ist ...