Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. “Surfen” im Internet
Leitsatz (amtlich)
Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer das Internet während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken in erheblichem zeitlichen Umfang (“ausschweifend”) nutzt und damit seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt.
Orientierungssatz
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Juli 2004 – 7 Sa 1243/03 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen unerlaubter privater Nutzung des Internets während der Arbeitszeit mit Zugriff auf pornografische Seiten.
Der am 28. Juni 1962 geborene, geschiedene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 3. Januar 1985 beschäftigt.
Zuletzt arbeitete der Kläger als Chemikant und sog. Erstmann (Schichtführer) in der T-Fabrik. Nach der Arbeitsplatzbeschreibung vertritt der Erstmann bei Abwesenheit den Vorarbeiter. Zu den Aufgaben des Klägers gehört ua. die Überwachung und Kontrolle der Anlagen. Der Kläger war in vollkontinuierlicher Wechselschicht eingesetzt. Je 12-Stunden-Schicht beträgt die Pausenzeit eine Stunde, wobei die Lage der Pausen nicht festliegt.
Seit September 1999 befindet sich auf der Intranet-Startseite der Beklagten oben links ein rot unterlegter Hinweis “Intranet und Internet nur zum dienstlichen Gebrauch”. Wird dieser Hinweis angeklickt, erfolgt eine Warnung, dass jeder Zugriff auf Internetseiten mit pornografischem, gewaltverherrlichendem oder rassistischem Inhalt registriert und gespeichert wird und Mitarbeiter, die entsprechende Internetseiten aufrufen, mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen. Die Beklagte hatte über die Werkszeitung und den sog. Online-Reporter auf dieses Verbot hingewiesen.
Anfang 2002 wurde für die Mitarbeiter der T-Fabrik der Zugang zum Internet freigeschaltet. Eine Schulung für die Internetnutzung fand aus diesem Anlass nicht statt.
Im Oktober 2002 fielen dem Betriebsleiter der T-Fabrik die gestiegenen Internet-Nutzungskosten des Betriebs von 13,83 Euro im Juni 2002 auf über 400,00 Euro im Oktober 2002 auf. Der werkseigene Ermittlungsdienst stellte für den Zeitraum September bis November 2002 einen Zugriff auf Internetseiten mit erotischen und pornografischen Inhalten von den Schichtführer-Zimmern D 3 und D 3 fest, und zwar in Zeiten, in denen der Kläger und/oder der stellvertretende Schichtführer R… bzw. der Schichtführer C… im Betrieb anwesend waren. Es wurde weiter festgestellt, dass die vom System automatisch angelegte Liste der im Internet angewählten Seiten gelöscht worden war.
Bei einer ersten Befragung durch den Ermittlungsdienst am 26. November 2002 räumte der Kläger ein, den Rechner im Schichtführer-Zimmer D 3 vor allem in den Pausenzeiten in unregelmäßigen Abständen öfter privat genutzt zu haben. Er habe im Internet gesurft und vorrangig Seiten mit erotischem Inhalt, manchmal aber auch Seiten, die man als pornografisch bezeichnen könne, aufgerufen.
In einer zweiten Befragung am 16. Dezember 2002 gab er auf Vorhalt an, er habe sich zeitweise per Internet kurze Videosequenzen mit pornografischem Inhalt sowie einzelne pornografische Bilder angeschaut. Auf die Seiten mit den Videosequenzen sei er mehr oder weniger zufällig gelangt, aus Neugierde habe er sich die Videos mehrmals angeschaut.
Der Ermittlungsdienst vermerkte in seinem Abschlussbericht vom 17. Dezember 2002, der Kläger habe nicht abgestritten, von den Anweisungen und Bestimmungen der Beklagten über die Internetnutzung gewusst zu haben.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2002 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2002 erhob der Betriebsrat Bedenken gegen die beabsichtigte fristlose Kündigung und widersprach auch der hilfsweisen ordentlichen Kündigung.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31. März 2003.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, sein Verhalten rechtfertige ohne Abmahnung nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er habe nicht gewusst, dass der Zugang zum Internet den Mitarbeitern nur zu dienstlichen Zwecken gestattet gewesen sei. Er habe keine Kenntnis von den von der Beklagten hinterlegten Warnhinweisen auf der Intranet-Startseite gehabt. Er sei grundsätzlich über die Windows-Schaltfläche und damit über einen anderen Weg in das Internet gelangt. Hinweise, Schulungen oder andere ausdrückliche Anweisungen der Beklagten bezüglich der Internetnutzung habe es nicht gegeben. Das Internet habe er nicht umfangreich privat genutzt; er habe lediglich etwa 5 bis 5 ½ Stunden privat im Internet gesurft und dabei maximal zwischen 55 und 70 Minuten Seiten mit pornografischem Inhalt aufgerufen. Darüber hinausgehende Zeiten seien ihm nicht zuzurechnen. Der Beklagten sei durch seine private Nutzung des Internets kein finanzieller Schaden entstanden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20. Dezember 2002 nicht aufgelöst worden ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Chemikant weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen: Es liege ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Der Kläger habe in einem nicht mehr tolerierbaren Ausmaß und gegen eindeutige Verbote sich Zugang zu Internetseiten mit erotischem und pornografischem Inhalt während der Arbeitszeit verschafft und damit seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblichem Umfang verletzt. Der Kläger habe ohne weiteres erkennen können, dass ein exzessiver Zugriff auf das Internet verboten sei. Deshalb habe es keiner Abmahnung vor dem Ausspruch der Kündigung bedurft. Er habe in der Zeit vom 9. September 2002 bis zum 31. November 2002 insgesamt 18 Stunden und 14 Minuten vom Rechner des Schichtführerzimmers D 3 und 22 Minuten vom Rechner des Schichtführerzimmers D 3 zu privaten Zwecken auf das Internet zugegriffen. Davon entfielen 4 Stunden und 53 Minuten auf Seiten mit pornografischem Inhalt. Alle Mitarbeiter der T-Fabrik seien im Rahmen einer Schulung eines Anwendungsprogramms auf die Warnhinweise der Intranet-Startseite und das Verbot des Zugriffs auf Internetseiten mit pornografischen Inhalten durch den zuständigen EDV-Verantwortlichen ausdrücklich hingewiesen worden. Anlässlich der erstmaligen Freischaltung des Internets im Jahre 2002 sei die Internetnutzung auch allgemeines Gesprächsthema im Betrieb gewesen. Der Kläger könne nicht ernsthaft behaupten, er habe als einziger diese Diskussion nicht mitbekommen. Im Übrigen habe der Kläger mit seiner privaten Nutzung des Internets während der Arbeitszeit massiv gegen die Sicherheitsbestimmungen der Beklagten verstoßen und die ihm obliegende Aufsichtspflicht über die ihm anvertrauten Anlagen erheblich missachtet.
Das Arbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben und die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht konnte mit der gegebenen Begründung die Berufung der Beklagten nicht zurückweisen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner der Klage stattgebenden Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Es liege kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor. Nutze der Arbeitnehmer entgegen einer einschlägigen Abmahnung oder einem ausdrücklichen Verbot des Arbeitgebers das Internet für private Zwecke, stelle dies eine die außerordentliche Kündigung rechtfertigende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Genehmige oder dulde der Arbeitgeber eine private Nutzung des Internets, komme eine Kündigung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die Nutzung in einem solchen Ausmaß erfolge, dass der Arbeitnehmer nicht mehr annehmen könne, sie sei vom Einverständnis des Arbeitgebers gedeckt. Der Kläger habe vorliegend bisher weder eine Abmahnung erhalten noch habe die Beklagte nachgewiesen, dass er von der Anweisung, das Internet nur dienstlich zu nutzen, und dem Verbot, keine Seiten mit pornografischem Inhalt aufzurufen, eine positive Kenntnis gehabt habe. Auch wenn ein vernünftiger Arbeitnehmer nicht annehmen könne, ein Arbeitgeber werde Ausflüge in das Internet von bis zu 134 Minuten hinnehmen, erfordere die bestehende betriebliche Unklarheit über die berechtigte Internetnutzung und der Umstand, dass die private Internetnutzung auch während der Arbeitszeit inzwischen sozialadäquat sei, vor dem Ausspruch einer Kündigung eine eindeutige Klarstellung durch den Arbeitgeber bzw. eine vergebliche Abmahnung. Da beides nicht vorliege, sei ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gegeben. Ob durch die private Nutzung des Internets der Beklagten ein Schaden entstanden sei, sei angesichts der bestehenden Unklarheiten unbeachtlich. Unter Abwägung dieser Umstände sei auch die ordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt.
B. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO). Die Revision rügt zu Recht eine fehlerhafte Anwendung von § 626 Abs. 1 BGB und § 1 KSchG. Mit der bisherigen Begründung kann die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung wie auch der hilfsweise ordentlichen Kündigung nicht begründet werden.
I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Da der in § 626 Abs. 1 BGB verwendete Begriff des wichtigen Grundes ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, kann seine Anwendung durch die Tatsachengerichte im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat (st. Rspr. des Senats, vgl. beispw. 4. Juni 1997 – 2 AZR 526/96 – BAGE 86, 95; 13. April 2000 – 2 AZR 259/99 – BAGE 94, 228; 15. November 2001 – 2 AZR 605/00 – BAGE 99, 331; zuletzt: 25. März 2004 – 2 AZR 341/03 – AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BG 2002 § 626 Nr. 6). Ebenfalls ist die Prüfung, ob auf Grund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich ist, weitgehend Aufgabe der Tatsacheninstanz und unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfung (vgl. beispw. zuletzt 15. November 2001 – 2 AZR 605/00 – aaO).
II. Dieser eingeschränkten Prüfung hält das Berufungsurteil nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Beurteilung des wichtigen Grundes nicht alle fallrelevanten Umstände berücksichtigt.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Landesarbeitsgericht von einer zweistufigen Prüfung des wichtigen Grundes aus (vgl. beispw. Senat 17. Mai 1984 – 2 AZR 3/83 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90; 2. März 1989 – 2 AZR 280/88 – AP BGB § 626 Nr. 101 = EzA BGB § 626 nF Nr. 118; 14. September 1994 – 2 AZR 164/94 – BAGE 78, 18). Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.
2. Schon bei der Prüfung des wichtigen Grundes “an sich” hat das Landesarbeitsgericht nicht alle fallrelevanten Aspekte berücksichtigt.
a) Das Landesarbeitsgericht will einen wichtigen Grund “an sich” annehmen, wenn ein Arbeitnehmer entgegen einem ausdrücklichen Verbot oder nach einer einschlägigen Abmahnung das Internet für private Zwecke genutzt habe. Darüber hinaus kommt nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts eine außerordentliche Kündigung bei einer privaten Nutzung des Internets nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn eine Nutzung in einem solchen Ausmaß erfolge, dass der Arbeitnehmer nicht annehmen könne, sie sei vom Einverständnis des Arbeitgebers gedeckt.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt eine kündigungsrelevante Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten jedoch nicht nur in den von ihm skizzierten Fallgestaltungen in Betracht. Eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht sowie anderer vertraglicher Nebenpflichten kann sich auch aus anderen Umständen ergeben. Neben den vom Berufungsgericht genannten Pflichtverletzungen kommen bei einer privaten Nutzung des Internets allgemein und im vorliegenden Fall im Besonderen ua. in Betracht:
– das Herunterladen einer erheblichen Menge von Daten aus dem Internet auf betriebliche Datensysteme (“unbefugter download”), insbesondere wenn damit einerseits die Gefahr möglicher Vireninfizierungen oder anderer Störungen des – betrieblichen – Betriebssystems verbunden sein können oder andererseits von solchen Daten, bei deren Rückverfolgung es zu möglichen Rufschädigungen des Arbeitgebers kommen kann, beispielsweise weil strafbare oder pornografische Darstellungen heruntergeladen werden (Hanau/Hoeren Private Internetnutzung durch Arbeitnehmer, S. 31; Mengel NZA 2005, 752, 753);
die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internetsanschlusses als solche, weil durch sie dem Arbeitgeber – zusätzliche – Kosten entstehen und der Arbeitnehmer die Betriebsmittel – unberechtigterweise – in Anspruch genommen hat;
– die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets während der Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer während des Surfens im Internet zu privaten Zwecken seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringt und dadurch seine Arbeitspflicht verletzt (Kramer NZA 2004, 457,459; Mengel NZA 2005, 752, 753).
Das Landesarbeitsgericht hat sich lediglich mit dem Aspekt der privaten Nutzung des Internets an sich näher auseinander gesetzt. Eine umfassende Prüfung der weiteren Aspekte hat es unterlassen, obwohl die Beklagte hierzu – teilweise streitig – vorgetragen hat.
b) Das Landesarbeitsgericht hat insbesondere dem Umstand, dass der Kläger das Internet während der Arbeitszeit privat genutzt und damit seine arbeitsvertragliche Leistungspflicht verletzt hat, keine hinreichende Beachtung geschenkt.
Bei einer privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit verletzt der Arbeitnehmer grundsätzlich seine (Hauptleistungs-) Pflicht zur Arbeit (Balke/Müller DB 1997, 326; Beckschulze DB 2003, 2777, 2781; Kramer NZA 2004, 457, 461; Mengel NZA 2005, 752, 753). Die private Nutzung des Internets darf die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht erheblich beeinträchtigen (Däubler Internet und Arbeitsrecht 3. Aufl. Rn. 189; Hanau/Hoeren Private Internetnutzung durch Arbeitnehmer S. 29; Kramer NZA 2004, 457, 460). Die Pflichtverletzung wiegt dabei um so schwerer, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt.
aa) Unstreitig ist der Kläger mehrfach seiner Arbeitspflicht nicht nachgekommen. Er hat eingeräumt, 5 bis 5 ½ Stunden privat im Internet gesurft zu haben. Er hat weiter eingeräumt, am 3. Oktober 2002 von 7.05 Uhr bis 8.32 Uhr, am 16. Oktober 2002 von 23.06 Uhr bis 1.20 Uhr, am 2. November 2002 von 11.24 Uhr bis 12.12 Uhr und am 10. November 2002 von 0.18 Uhr bis 0.38 Uhr das Internet für private Zwecke genutzt zu haben. Selbst wenn man unterstellt und zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass er täglich eine einstündige Pause hat und zumindest der ganz überwiegende Teil der privaten Internetnutzung in seinen Pausenzeiten erfolgte, liegt zumindest am 3. Oktober 2002 und 16. Oktober 2002 ein über die – maximale tägliche – Pausenzeiten hinausgehende zeitlich ungewöhnliche umfangreiche private Nutzung des Internets vor, die mit den arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers zwingend nicht zu vereinbaren ist.
bb) Ob, wie die Beklagte behauptet, der Kläger auch an anderen Tagen und in noch weit erheblicherem Umfange seine vertragliche Leistungspflicht verletzt hat, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.
cc) Selbst unter Berücksichtigung möglicher Pausenzeiten des Klägers lässt sich im Ergebnis jedenfalls festhalten, dass der Kläger zumindest an zwei Tagen nicht nur kurzfristig und unerheblich, sondern in einem beträchtlichen zeitlichen Umfang seiner Arbeitspflicht nicht nachgekommen ist, indem er während der Arbeitszeit privat im Internet gesurft hat. Diese Arbeitsvertragspflichtverletzung wird auch nicht dadurch relativiert, dass die Beklagte dem Kläger die private Nutzung des Internets – was im Übrigen vom Kläger zunächst näher darzulegen gewesen wäre – gestattet bzw. diese geduldet hätte. Eine solche Gestattung oder Duldung würde sich nämlich – ohne weitere Erklärungen – allenfalls auf eine private Nutzung im normalen bzw. angemessenen zeitlichen Umfang erstrecken (Hanau/Hoeren Privat Internetnutzung durch Arbeitnehmer S. 24 und 29; Kramer NZA 2004, 457, 459). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Kläger in dem konkreten Zeitraum, in dem er das Internet privat genutzt hat, mangels Arbeitsanfall ohnehin untätig gewesen wäre (siehe hierzu: Mengel NZA 2005, 752, 753). Dies wäre aber vom Kläger ggf. zunächst näher darzulegen gewesen.
dd) Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Leistungspflicht umso schwerer wiegt, als zur Tätigkeit des Klägers als Erstmann auch wesentlich eine Aufsichtsfunktion gehört. Er hat die Einhaltung von sicherheitsrelevanten Standards zu überwachen. Die Außerachtlassung dieser Aufsichtsfunktion an den genannten Tagen hat das Landesarbeitsgericht nicht einmal erwähnt.
c) Die unzureichende Berücksichtigung der verletzten Arbeitspflicht bei der Prüfung des wichtigen Grundes durfte das Landesarbeitsgericht nicht mit dem Hinweis auf eine “sozialadäquate” Nutzung des Internets zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit herunterspielen. Zum einen ist nicht ersichtlich, woraus sich eine solche “Sozialadäquanz” ergeben soll. Zum anderen mag allenfalls eine kurzfristige private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit allgemein gerade noch als hinnehmbar angesehen werden, wenn keine ausdrücklichen betrieblichen Verbote zur privaten Nutzung existieren. Bei einer solchen exzessiven privaten Nutzung des Internets während der Arbeitszeit wie hier lässt sich jedoch auf keinen Fall noch von einem “sozialadäquanten” Verhalten sprechen und eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung negieren.
d) Ähnliches gilt für die vom Landesarbeitsgericht angeführten Unklarheiten zur privaten Nutzungsberechtigung des Internets. Aus einer möglichen Berechtigung zur privaten Nutzung des Internets – die im Übrigen vom Landesarbeitsgericht auch nicht positiv festgestellt worden ist – folgt noch nicht, dass der Arbeitnehmer das Medium intensiv während der Arbeitszeit nutzen darf. Selbst wenn im Betrieb der Beklagten eine private Nutzung des Internets an sich erlaubt bzw. geduldet wäre, lässt sich daraus nicht zwingend schließen, diese Nutzung dürfe auch während der Arbeitszeit zeitlich unbegrenzt bzw. in erheblichem Umfang und nicht nur außerhalb der Arbeitszeit, beispielsweise während der Pausen, erfolgen (so auch Kramer NZA 2004, 457, 460). Dies gilt umso mehr, als die Tätigkeit des Klägers nicht zwangsläufig – wie beispielsweise bei einem Außendienstmitarbeiter – zumeist mit einer Nutzung des Internets verbunden ist.
III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die außerordentliche Kündigung vom 20. Dezember 2002 ist nicht schon unwirksam, weil die Beklagte – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – den Kläger vor ihrem Ausspruch nicht abgemahnt hat.
1. Nicht in allen Fällen einer privaten Nutzung des Internets und damit im Zusammenhang stehender vertraglichen Pflichtverletzungen muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorher abgemahnt haben. Es sind zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, in denen es einer Abmahnung nicht bedarf.
2. Nutzt der Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit das Internet in erheblichem zeitlichen Umfang (“ausschweifend”: Däubler Internet und Arbeitsrecht Rn. 189) privat, so kann er grundsätzlich nicht darauf vertrauen, der Arbeitgeber werde dies tolerieren. Er muss damit rechnen, dass der Arbeitgeber nicht damit einverstanden ist, wenn sein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in dieser Zeit nicht erbringt und gleichwohl eine entsprechende Vergütung dafür beansprucht. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber keine klarstellende Nutzungsregelungen für den Betrieb aufgestellt hat. Bei einer fehlenden ausdrücklichen Gestattung oder Duldung des Arbeitgebers ist eine private Nutzung des Internets grundsätzlich nicht erlaubt (Beckschulze DB 2003, 2777; Ernst NZA 2002, 585, 586; Dickmann NZA 2003, 1010; Kramer NZA 2004, 458, 461; Mengel NZA 2005, 752, 753). Weist in diesen Fällen die Nichtleistung der vertraglich geschuldeten Arbeit einen erheblichen zeitlichen Umfang, wie hier vor allem am 3. und 16. Oktober 2002, auf, kann der Arbeitnehmer in keinem Fall mit einer Duldung bzw. Gestattung durch den Arbeitgeber ernsthaft rechnen.
Der Arbeitnehmer kann weiter auch nicht damit rechnen, der Arbeitgeber sei, selbst wenn er prinzipiell eine private Nutzung des Internets duldet, damit einverstanden, dass er sich umfangreiche pornografische Dateien aus dem Internet herunterlädt (ArbG Frankfurt a.M. 2. Januar 2002 – 2 Ca 5340/01 – NZA 2002, 1093). Der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, von Dritten nicht mit solchen Aktivitäten seiner Mitarbeiter in Verbindung gebracht zu werden (BAG 6. November 2003 – 2 AZR 631/02 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2, sog. Integritätsinteresse; aA Däubler Internet und Arbeitsrecht Rn. 192).
Deshalb muss es jedem Arbeitnehmer klar sein, dass er mit einer exzessiven Nutzung des Internets während der Arbeitszeit seine arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten erheblich verletzt. Es bedarf daher in solchen Fällen auch keiner Abmahnung. Mit dem Erfordernis einer einschlägigen Abmahnung vor Kündigungsausspruch soll vor allem dem Einwand des Arbeitnehmers begegnet werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen bzw. nicht damit rechnen können, der Arbeitgeber werde sein vertragswidriges Verhalten als so schwerwiegend ansehen (KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 273 mwN). Dementsprechend bedarf es einer Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (Senat 9. Januar 1986 – 2 ABR 24/85 – AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 20 = EzA BGB § 626 nF Nr. 98; zuletzt: 25. März 2004 – 2 AZR 341/03 – AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6).
IV. Der Rechtsstreit war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann in der Sache selbst noch nicht abschließend entscheiden. Es steht noch nicht fest, ob ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB bzw. ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 2 KSchG zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers vorliegt.
Auf Grund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist zwar eine hinreichende kündigungsrelevante Pflichtenverletzung des Klägers und damit ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung an sich bzw. ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund im Prinzip gegeben. Denn unstreitig hat der Kläger an zwei Tagen seine Hauptleistungspflicht in erheblichem zeitlichen Umfang verletzt und seine Aufsichtsfunktion während der privaten Nutzung des Internets erheblich vernachlässigt.
Allerdings muss das Landesarbeitsgericht noch die notwendige umfassende Interessenabwägung vornehmen. Dabei wird es vor dem Hintergrund der – offensichtlich im Wesentlichen beanstandungsfreien – bisherigen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und der Position des Klägers als Erstmann mit Aufsichtsfunktionen zunächst die Schwere der Pflichtverletzung zu berücksichtigen haben. Sollte das Landesarbeitsgericht auf Grund der durchzuführenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis kommen, die unstreitigen Pflichtverletzungen reichten in Anbetracht der abzuwägenden Interessen noch nicht als ein Kündigungsgrund für eine außerordentliche oder eine ordentliche Kündigung aus, wird es weiter aufklären müssen, ob der Kläger nicht auch noch an weiteren Tagen – wie die Beklagte behauptet – seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat, in dem er während der Arbeitszeit das Internet privat genutzt hat. Auch wäre weiter festzustellen, in welchem Umfang er an den entsprechenden Tagen zu welchen Zeiten Pause gemacht hat. Des weiteren müsste das Landesarbeitsgericht der Frage vertieft nachgehen, ob und in welchem Umfang der Kläger seine Aufsichtsfunktion während der privaten Nutzung des Internets vernachlässigt hat.
Das Landesarbeitsgericht wird bei der vorzunehmenden Interessenabwägung weiter zu berücksichtigen und abzuwägen haben, dass die Beklagte die Nutzungsbedingungen für das Internet zwar nicht eindeutig festgelegt hat, ihr aber durch das Herunterladen von pornografischem Bildmaterial nicht nur Kosten bzw. ein Schaden entstanden sein könnte, sondern sie sich der Gefahr ausgesetzt sehen könnte, in der Öffentlichkeit in ein problematisches Licht gesetzt zu werden. Schließlich wird das Landesarbeitsgericht auch den Umstand würdigen müssen, dass der Kläger das Internet nicht für unverfängliche private Zwecke genutzt (vergleichbar dem Lesen einer Tageszeitung), sondern sich mit pornografischen Bildern und Videosequenzen während der Arbeitszeit versorgt hat.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert, Fischer, J. Walter
Fundstellen
Haufe-Index 1476202 |
BAGE 2007, 195 |
BB 2006, 331 |
DB 2006, 397 |