Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche verhaltensbedingte Kündigung wegen Stellung eines Strafantrags
Orientierungssatz
1. Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten stellt als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall keine eine Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung dar. Dies kann ua. dann anders zu beurteilen sein, wenn trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht keine Anhaltspunkte bestehen und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweist.
2. Eine unverhältnismäßige, die vertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzende Reaktion kann auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer einen Strafantrag stellt, weil er sich selbst als durch eine Straftat verletzt fühlt. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn der Vorwurf, es sei durch ein bestimmtes Verhalten ein Straftatbestand verwirklicht worden, völlig haltlos ist. Die Pflichtverletzung ist in einem solchen Fall schuldhaft und damit vorwerfbar, wenn dem Arbeitnehmer die Haltlosigkeit des Vorwurfs erkennbar war.
Normenkette
GG Art. 5; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; BGB § 241 Abs. 2; StGB § 77 Abs. 1; BDSG § 44 Abs. 1; HRG § 6; BPersVG § 72 Abs. 1; KSchG § 1 Abs 2 S 1 Alt 2; BGB § 241 Abs 2, § 242; StGB § 77 Abs 1, § 77b Abs 1; GG Art 5 Abs 1; BDSG 1990 § 44 Abs 1; BPersVG § 72 Abs 1
Verfahrensgang
LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 09.06.2015; Aktenzeichen 19 Sa 2229/14) |
ArbG Berlin (Urteil vom 16.10.2014; Aktenzeichen 33 Ca 8186/14) |
Nachgehend
BVerfG (Beschluss vom 13.12.2018; Aktenzeichen 1 BvR 1231/17) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2015 – 19 Sa 2229/14 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte ist Trägerin des Fachbereichs Sozialversicherung der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Die Klägerin ist Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht und war aufgrund eines Arbeitsvertrags mit der Beklagten seit Februar 2003 als Lehrende an diesem Fachbereich tätig.
Im März 2012 wurden ua. die Lehrveranstaltungen der Klägerin nach Maßgabe einer für den Fachbereich Sozialversicherung erlassenen Evaluationsordnung (EVO) bewertet und die Ergebnisse an andere Mitarbeiter der Beklagten weitergeleitet. Die Klägerin hielt die durchgeführten Maßnahmen wegen der aus ihrer Sicht nicht ordnungsgemäßen Bestellung eines Evaluationsbeauftragten für rechtswidrig und ließ mit anwaltlichem Schreiben vom 4. Juni 2012 Strafantrag gegen „Unbekannt” stellen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren im Juni 2012 ein. Die von der Klägerin dagegen erhobene Beschwerde wies die Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 30. Juli 2012 zurück und gab den Vorgang im November 2012 an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zur Prüfung ab, ob ein Bußgeldverfahren einzuleiten sei. Das BMAS unterrichtete die Beklagte mit Schreiben vom 9. Juli 2013 darüber, dass die Einleitung eines Bußgeldverfahrens geprüft werde. Am 18. Dezember 2013 gab es den Vorgang an die Beklagte als die zuständige Verwaltungsbehörde ab. Diese stellte keinen Verstoß gegen gesetzliche Datenschutzbestimmungen fest.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien – nach Beteiligung des Personalrats – mit Schreiben vom 23. Mai 2014 zum 31. Dezember 2014.
Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt. Sie hat die Kündigung für sozial ungerechtfertigt gehalten. Sie habe sich mit dem Strafantrag gegen eine Verletzung ihrer Rechte durch die von Mitarbeitern der Beklagten zu verantwortende Evaluation ihrer Lehrveranstaltungen und gegen die Weitergabe der erhobenen Daten wehren dürfen. Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2014 nicht aufgelöst worden ist;
hilfsweise für den Fall der Stattgabe des Hauptantrags die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als hauptamtlich Lehrende zu unveränderten Vertragsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei wegen der unverhältnismäßigen Reaktion der Klägerin auf die vermeintlich rechtswidrig erfolgte Evaluation sozial gerechtfertigt.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung der Beklagten vom 23. Mai 2014 zu Recht als wirksam angesehen (I. und II.). Der nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellte Weiterbeschäftigungsantrag fällt nicht zur Entscheidung an (III.).
II. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die ordentliche Kündigung sei durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen (BAG 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 24; 3. November 2011 – 2 AZR 748/10 – Rn. 20). Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – aaO; 31. Juli 2014 – 2 AZR 434/13 – Rn. 19). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist (BAG 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – aaO; 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 – Rn. 22).
2. Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin geprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 25; 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 – Rn. 24).
3. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Klägerin habe ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt.
a) Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten stellt als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall keine eine Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung dar (BVerfG 2. Juli 2001 – 1 BvR 2049/00 – zu II 1 b cc bbb der Gründe). Dies kann ua. dann anders zu beurteilen sein, wenn trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht keine Anhaltspunkte bestehen und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweist (zur fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses vgl. BVerfG 2. Oktober 2001 – 1 BvR 1372/01 – zu 2 b der Gründe). Zwar sind auch die in Strafanzeigen enthaltenen Werturteile vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist aber nicht vorbehaltlos gewährt, sondern steht gem. Art. 5 Abs. 2 GG unter dem Schrankenvorbehalt der allgemeinen Gesetze. Das erfordert eine fallbezogene Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem vom grundrechtsbeschränkenden Gesetz – hier § 241 Abs. 2 BGB – geschützten Rechtsgut (BVerfG 9. Oktober 1991 – 1 BvR 221/90 – zu B II 3 a der Gründe, BVerfGE 85, 23). Die Anzeige des Arbeitnehmers darf sich deshalb mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf sein Verhalten oder das seiner Repräsentanten darstellen. Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen (BAG 3. Juli 2003 – 2 AZR 235/02 – zu II 3 b dd der Gründe, BAGE 107, 36). Soweit ihm dies zumutbar ist (BAG 3. Juli 2003 – 2 AZR 235/02 – zu II 3 b dd (2) der Gründe, aaO), ist der Arbeitnehmer wegen der sich aus der Pflicht zur Rücksichtnahme ergebenden Pflicht zur Loyalität und Diskretion gehalten, Hinweise auf strafbares Verhalten in erster Linie gegenüber Vorgesetzten oder anderen zuständigen Stellen oder Einrichtungen vorzubringen. Es ist daher zu berücksichtigen, ob ihm andere wirksame Mittel zur Verfügung standen, um etwas gegen den angeprangerten Missstand zu tun, andererseits aber auch ein öffentliches Interesse an einer Offenlegung der Information (zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17. September 2015 [Langner] – 14464/11 – Rn. 42 – 44; 21. Juli 2011 [Heinisch] – 28274/08 – Rn. 64 ff., EuGRZ 2011, 555).
b) Eine unverhältnismäßige, die vertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzende Reaktion kann auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer einen Strafantrag stellt, weil er sich selbst als durch eine Straftat verletzt fühlt.
aa) Das Antragsrecht nach § 77 Abs. 1 StGB lässt die Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber den Interessen des Arbeitgebers gem. § 241 Abs. 2 BGB ebenso wenig generell entfallen wie das allgemeine Anzeigerecht nach § 158 StPO. Die Selbstbetroffenheit von einer – vermeintlichen – Straftat ist jedoch bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob der Strafantrag eine unangemessene Reaktion darstellt. Denn der Gesetzgeber erkennt mit dem Antragsrecht des Opfers dessen Interesse an einer Strafverfolgung als schutzwürdig an. Dennoch kann sich auch ein Strafantrag des vermeintlich Betroffenen als unverhältnismäßig erweisen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn – trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts – der Vorwurf, es sei durch ein bestimmtes Verhalten ein Straftatbestand verwirklicht worden, völlig haltlos ist. In einem solchen Fall besteht für den Antragsteller objektiv kein Anlass, die staatliche Strafverfolgung zu initiieren. Die Stellung eines Strafantrags ist auch nicht lediglich mit einer Klageführung wegen zivil- oder arbeitsrechtlicher Ansprüche zu vergleichen. Sie kann zu einer weit höheren Beeinträchtigung des Ansehens des Arbeitgebers und seines Unternehmens oder seiner Repräsentanten führen. Allerdings ist eine Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB durch einen derart „überschießenden” Strafantrag nur dann schuldhaft und damit dem Arbeitnehmer vorwerfbar, wenn diesem die Haltlosigkeit des Vorwurfs erkennbar war. Ist das der Fall, ist ein bloß vermeidbarer und damit verschuldeter Irrtum über die Voraussetzungen der Strafbarkeit des angezeigten Verhaltens – abhängig vom Grad des Verschuldens – im Rahmen der Interessenabwägung bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz der Pflichtverletzung zumutbar ist.
bb) Die Frist von drei Monaten zur Stellung eines Strafantrags gem. § 77b Abs. 1 StGB steht der Annahme, ein Strafantrag könne gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, nicht notwendig entgegen. Für den Beginn der Frist ist nach § 77b Abs. 2 StGB die Kenntnis von der Tat und der Person des Täters erforderlich. Gibt es lediglich Hinweise auf eine Straftat, läuft die Antragsfrist nicht. Außerdem kann es dem Arbeitnehmer im Einzelfall zumutbar sein, auch innerhalb einer vermeintlich bereits laufenden Antragsfrist zunächst zu versuchen, die Berechtigung eines Vorwurfs anderweitig zu klären.
c) Danach hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, die Klägerin habe mit der Stellung des Strafantrags ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt.
aa) Der Strafantrag stellte eine gänzlich unangemessene Reaktion auf eine vermeintlich rechtswidrige Evaluation ihrer Lehrveranstaltungen dar. Die Klägerin hat Strafantrag wegen einer Straftat nach § 44 Abs. 1 BDSG gestellt. Zwar hat sie keine falschen tatsächlichen Angaben gemacht. Jedoch setzt eine solche Straftat zusätzlich zu einem vorsätzlichen Verstoß gegen gesetzliche Datenschutzbestimmungen voraus, dass die Handlung gegen Entgelt oder in der Absicht begangen wurde, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen. Dafür gab es weder nach dem von der Klägerin der Staatsanwaltschaft unterbreiteten noch nach dem im Rechtsstreit von ihr vorgetragenen Sachverhalt einen Anhaltspunkt. Die diesbezügliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Eine zulässige Verfahrensrüge hat die Klägerin nicht erhoben. Die Klägerin hat sich allein auf eine vermeintlich vorsätzliche Verletzung von Regeln des Datenschutzes und damit allenfalls auf eine Ordnungswidrigkeit nach § 43 Abs. 2 BDSG berufen. Ihre Auffassung, bereits daraus folge „offensichtlich” ebenso eine Schädigungsabsicht iSd. § 44 Abs. 1 BDSG, ist abwegig, da anderenfalls Ordnungswidrigkeit und Straftat zusammenfielen.
bb) Überdies wäre es der Klägerin zumutbar gewesen, zunächst eine weitere innerbetriebliche Klärung der vermeintlichen Rechtswidrigkeit der Evaluation zu versuchen. Das Landesarbeitsgericht hat durch Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts angenommen, dass zu diesem Zweck eine Befassung der der Fachbereichsleitung vorgesetzten Mitarbeiter der Beklagten, ihres Referats für Datenschutz oder Justiziariats und schließlich des Datenschutzbeauftragten in Betracht gekommen wäre. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Klägerin zeigt einen solchen nicht auf. Soweit die Revision meint, eine Obliegenheit zur zunächst innerbetrieblichen Klärung scheide bei Selbstbetroffenheit von einer Straftat aus, mag dies der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer keinen Anlass hat, an der Berechtigung seines Vorwurfs zu zweifeln. Hier war aber das Gegenteil der Fall. Die Klägerin wusste, dass es im Fachbereich unterschiedliche Beurteilungen über die Zulässigkeit der durchgeführten Evaluationen gab. Der Einwand der Revision, die Klägerin habe davon ausgehen müssen, dass der Versuch innerbetrieblicher „Abhilfe” aussichtslos gewesen wäre, weil die Evaluationen ja trotz der Hinweise von Mitte 2011 und Anfang März 2012 auf die weiterhin ausstehende Wahl einer/s Evaluationsbeauftragten durchgeführt worden seien, verkennt, dass damit noch nicht die der Fachbereichsleitung vorgesetzten Mitarbeiter der Beklagten, ihres Referats für Datenschutz oder Justiziariats oder der Datenschutzbeauftragte mit der Problematik befasst worden waren.
cc) An einer Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme fehlt es nicht deshalb, weil die Klägerin den Strafantrag gegen „Unbekannt” gerichtet hat. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, durch die im Antrag (konkret) angeführte Evaluation und die Bezugnahme auf mit dieser zusammenhängende Handlungen (konkret) benannter Mitarbeiter der Beklagten, insbesondere des Fachabteilungsleiters, habe die Klägerin einen klar erkennbaren Zusammenhang des Strafantrags mit Repräsentanten der Beklagten hergestellt und damit die Ermittlungen gegen die Beklagte bzw. deren Repräsentanten am Fachbereich Sozialversicherung lenken wollen.
4. Die Klägerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt.
a) Allerdings kann nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht angenommen werden, die Klägerin habe den Strafantrag wider besseres Wissen gestellt, nämlich obwohl ihr bewusst gewesen wäre, dass kein strafbares Verhalten vorlag.
b) Die Klägerin hat es jedoch entgegen der gebotenen Sorgfalt und damit fahrlässig (§ 276 Abs. 2 BGB) unterlassen, die den mit der Evaluation befassten Personen unterstellte Schädigungsabsicht iSd. § 44 Abs. 1 BDSG kritisch zu hinterfragen. Sie hat ohne Weiteres aus einem ihrer Ansicht nach rechtswidrigen Vorgehen auf eine Schädigungsabsicht geschlossen. Dass dieser Schluss nicht richtig sein konnte, war nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts für die Klägerin als Volljuristin auch erkennbar. Überdies sprach der Umstand, dass nicht nur ihre Lehrveranstaltungen evaluiert wurden, dafür, dass die verantwortlichen Personen lediglich den gesetzlichen Auftrag nach § 6 HRG iVm. § 1 Abs. 2 EVO erfüllen wollten. Ein Anhaltspunkt für eine Schädigungsabsicht iSd. § 44 Abs. 1 BDSG ergab sich auch nicht daraus, dass der Fachbereich die Evaluation in Kenntnis des Umstands durchführte, dass es an einem gewählten Evaluationsbeauftragten fehlte. Der Klägerin war bekannt, dass der Fachabteilungsleiter entgegen der von einer Mitarbeiterin in einer E-Mail von Anfang März 2012 geäußerten Ansicht davon ausging, es sei ausreichend, dass er eine Professorin kommissarisch zur Evaluationsbeauftragten bestellt hatte. Seine diesbezüglichen Aussagen in der Sitzung des Fachbereichsrats am 6. März 2012 sind in dem Strafantrag wiedergegeben.
c) Einem Verschulden steht nicht entgegen, dass sich die Klägerin bei Stellung des Strafantrags hat anwaltlich vertreten lassen. Sie hat weder behauptet, dass Gegenstand der anwaltlichen Beratung die ihr als Arbeitnehmerin obliegenden Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gewesen seien, noch hat sie dargelegt, welche rechtliche Auskunft sie über die Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach § 44 Abs. 1 BDSG erhalten habe.
5. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsfehler angenommen, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung sei aufgrund der der Klägerin zurechenbaren Pflichtverletzung nicht mehr zu erwarten gewesen, obwohl es an einer vorausgegangenen Abmahnung zu einer vergleichbaren Pflichtverletzung fehlte. Es kann dahinstehen, ob insofern seine Erstbegründung, eine Verhaltensänderung sei auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten gewesen, von den getroffenen Feststellungen getragen wird. Einer revisionsrechtlichen Überprüfung hält jedenfalls die Zweitbegründung stand, die Pflichtverletzung wiege außerdem so schwer, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch die Beklagte erkennbar ausgeschlossen gewesen sei. Das Landesarbeitsgericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die Klägerin mit Nachdruck versucht habe, strafrechtliche Ermittlungen gegen die Beklagte oder ihre Repräsentanten in Gang zu setzen, obwohl es dafür erkennbar keinen Anlass gegeben habe. Die Nachdrücklichkeit habe sich daran gezeigt, dass die Klägerin sogar noch Beschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft eingelegt habe, als ihr durch den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft die Haltlosigkeit ihrer Anzeige bereits vor Augen geführt worden war. Die Klägerin hat demnach beharrlich und ohne Rücksicht auf die Belange der Beklagten eigene, aufgrund der erkennbaren Haltlosigkeit des Vorwurfs nicht schutzwürdige Interessen an einer Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen gegen Repräsentanten der Beklagten verfolgt. Die tatrichterliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dies sei auch ohne Abmahnung geeignet, das Vertrauen der Beklagten in eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung in Form der gebotenen Rücksichtnahme auf ihre Interessen auf Dauer zu beeinträchtigen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
6. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei es angesichts der Pflichtverletzung der Klägerin auch unter Berücksichtigung der relevanten Umstände des Streitfalls nicht zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis der Parteien über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus fortzusetzen, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung ebenfalls stand.
a) Seine Würdigung, die Klägerin habe geradezu leichtfertig gehandelt und die für die Beklagte mit einem Strafverfahren verbundene negative Publizität in Kauf genommen, hält sich im Rahmen des den Tatsachengerichten zustehenden Beurteilungsspielraums. Dass sie eine Strafbarkeit des Verhaltens der für die Evaluation ihrer Lehrveranstaltung Verantwortlichen für möglich gehalten haben mag und sich selbst von der ihres Erachtens unrechtmäßigen Datenerhebung und -verwertung betroffen sah, vermag sie deshalb nicht ausschlaggebend zu entlasten. Das Berufungsgericht durfte auch die Einlegung der Beschwerde gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft als besonders hartnäckiges Handeln der Klägerin ansehen. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, inwiefern sie sich mit der Auffassung der Staatsanwaltschaft auseinandergesetzt und etwa neue Anhaltspunkte für eine Schädigungsabsicht der Verantwortlichen geltend gemacht hätte. Zwar ist es tatsächlich nicht zu Ermittlungen gegen die Beklagte oder ihre Repräsentanten gekommen. Das Landesarbeitsgericht hat aber ohne Rechtsfehler bereits den Umstand, dass die Klägerin die Gefahr einer negativen Publizität durch ein Strafverfahren in Kauf genommen hat, als schwerwiegend erachtet.
b) Das Landesarbeitsgericht hat in seine Abwägung auch zutreffend sowohl den Umstand einbezogen, dass die Klägerin als Rechtsanwältin zugelassen ist, als auch die Tatsache, dass ihre rechtsanwaltliche Betätigung bislang kaum wirtschaftliche Bedeutung hatte. Durch die Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts hat es ebenso die Dauer der Beschäftigung der Klägerin von gut elf Jahren zum Zeitpunkt der Kündigung, ihr Alter von 58 Jahren und die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Ehemann berücksichtigt. Seine Annahme, auch dies vermöge letztlich nicht, die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ausschlagen zu lassen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
7. Die Beklagte hatte im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ihr Recht zur ordentlichen Kündigung nicht verwirkt (§ 242 BGB).
a) Ein Kündigungssachverhalt kann durch Zeitablauf in einem Maß an Bedeutung verlieren, dass selbst eine ordentliche Kündigung nicht mehr gerechtfertigt ist. Der Schutz des Arbeitnehmers wird insoweit durch die Grundsätze der Verwirkung gewährleistet (BAG 23. Januar 2014 – 2 AZR 638/13 – Rn. 25; 15. August 2002 – 2 AZR 514/01 – zu B I 3 c der Gründe). Der Arbeitgeber hat das Recht zur ordentlichen Kündigung verwirkt, wenn er in Kenntnis eines Kündigungsgrundes längere Zeit untätig bleibt, dh. die Kündigung nicht erklärt, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre (Zeitmoment), und er dadurch beim Arbeitnehmer das berechtigte Vertrauen erweckt, die Kündigung werde auch künftig unterbleiben (Umstandsmoment; BAG 23. Januar 2014 – 2 AZR 638/13 – aaO; 15. August 2002 – 2 AZR 514/01 – zu B I 2 a der Gründe).
b) Danach fehlt es schon am für eine Verwirkung erforderlichen Zeitmoment. Es ist nicht festgestellt, dass die Beklagte, wie die Revision geltend macht, „nahezu zwei Jahre hat verstreichen lassen”, bevor sie mit dem Kündigungsverlangen an den Personalrat herangetreten ist. Nach dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Vorbringen der Beklagten hatte diese vielmehr Kenntnis von dem Umstand, dass die Klägerin Strafantrag gestellt hatte, erst mit Abgabe des Ordnungswidrigkeitenverfahrens erlangt. Dies war am 18. Dezember 2013. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, die Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2014 angehört und die Beteiligung des Personalrats mit Schreiben vom 10. April 2014 eingeleitet zu haben. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass und in welcher Weise sie dem in den Tatsacheninstanzen entgegengetreten wäre.
III. Die Kündigung der Beklagten vom 23. Mai 2014 ist nicht gem. § 79 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 72 Abs. 1 BPersVG wegen einer nicht ordnungsgemäßen Beteiligung des Personalrats unwirksam.
1. Die Beklagte hat den Personalrat ordnungsgemäß über ihre Kündigungsabsicht unterrichtet.
a) Im Mitwirkungsverfahren nach § 72 Abs. 1 BPersVG ist der Personalrat ebenso umfassend zu unterrichten wie der Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 BetrVG (BAG 14. Januar 1993 – 2 AZR 387/92 – zu II 1 a der Gründe; 3. November 1977 – 2 AZR 277/76 – zu II 2 b der Gründe). Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung” (BAG 22. September 2016 – 2 AZR 700/15 – Rn. 26; 16. Juli 2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 15, BAGE 152, 118). Der Personalrat ist ordnungsgemäß unterrichtet, wenn ihm der Dienstherr die aus seiner subjektiven Sicht tragenden Umstände für die beabsichtigte Kündigung mitgeteilt hat. Der Arbeitgeber darf allerdings ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (BAG 22. September 2016 – 2 AZR 700/15 – Rn. 27; 16. Juli 2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 19, BAGE 152, 118). Die Unterrichtung ist daher fehlerhaft, wenn er dem Personalrat bewusst unrichtige und oder unvollständige Sachverhalte unterbreitet oder einen für dessen Entschließung wesentlichen, insbesondere einen den Arbeitnehmer entlastenden Umstand verschweigt (BAG 10. April 2014 – 2 AZR 684/13 – Rn. 22; 9. Juni 2011 – 2 AZR 284/10 – Rn. 46).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze war die Unterrichtung des Personalrats nicht unvollständig. Die Beklagte hat sowohl die Sozialdaten als auch das Verhalten der Klägerin, das sie zum Anlass der Kündigung genommen hat, zutreffend dargelegt. Kündigungsgrund war dabei aus Sicht der Beklagten die unverhältnismäßige Reaktion der Klägerin in Form des Strafantrags auf die vermeintlich rechtswidrige Evaluation bei Unterstellung einer Schädigungsabsicht der Verantwortlichen. Zur Entlastung von dieser Pflichtwidrigkeit waren weitere Meinungen, die die Auffassung der Klägerin von der „bloßen” Rechtswidrigkeit der Evaluation teilten, weder aus der Sicht der Beklagten noch objektiv geeignet. Die Auffassung der Klägerin über eine Unzulässigkeit von Evaluationen ohne gewählten Evaluationsbeauftragten hat die Beklagte dabei nicht verschwiegen. Sie hat ihre Ausführungen dazu im Strafantrag vielmehr in dem Schreiben an den Personalrat wörtlich wiedergegeben.
2. Die Kündigung ist nicht wegen einer unterbliebenen Erörterung nach § 72 Abs. 1 BPersVG unwirksam. Insofern bedarf keiner Entscheidung, ob eine Erörterung iSd. § 72 Abs. 1 BPersVG ein mündliches Gespräch zwischen Personalrat und Dienststelle voraussetzt (zum wortgleichen § 84 Abs. 1 PersVG Berlin BAG 15. August 2006 – 9 AZR 571/05 – Rn. 33, BAGE 119, 181) oder ob unter besonderen Umständen oder mit Zustimmung des Personalrats auch der Austausch schriftlicher Stellungnahmen genügt (BVerwG 17. Februar 2009 – 1 WB 37/08 – Rn. 25 f., BVerwGE 133, 135). Eine Erörterung ist entbehrlich, wenn zwischen der Dienststelle und dem Personalrat eine Absprache besteht, dass sie im Falle eines Widerspruchs des Personalrats nur auf seinen ausdrücklichen Wunsch erfolgen soll (BAG 15. August 2006 – 9 AZR 571/05 – Rn. 45, aaO; 5. Oktober 1995 – 2 AZR 909/94 – zu II 2 c der Gründe, BAGE 81, 111). Eine solche – zumindest konkludente – Absprache lag zwischen der Beklagten und dem Personalrat vor. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, bei der Beklagten bestehe in Kündigungsangelegenheiten die Praxis, dass sie auf Einwände des Personalrats zu einem Beteiligungsschreiben eine schriftliche Erwiderung fertige und eine mündliche Erörterung nicht mehr stattfinde, falls diese nicht im Einzelfall ausdrücklich vom Personalrat gewünscht werde. Die Klägerin hat dagegen keine Verfahrensrügen erhoben. Entsprechend dieser Praxis hat die Beklagte auf den Einwand des Personalrats mit Schreiben vom 24. April 2014 am 22. Mai 2014 schriftlich Stellung genommen. Anhaltspunkte, dass der Personalrat den Wunsch nach einer mündlichen Erörterung geäußert hätte, bestehen nicht. Mit der Stellungnahme der Beklagten vom 22. Mai 2014 war demnach das Beteiligungsverfahren abgeschlossen, bevor die Kündigung vom 23. Mai 2014 ausgesprochen wurde.
IV. Der nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellte Weiterbeschäftigungsantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen. Er wäre überdies nur auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits gerichtet. Dieser ist mit der Entscheidung des Senats rechtskräftig abgeschlossen.
V. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Unterschriften
Koch, Niemann, Rachor, K. Schierle, Gerschermann
Fundstellen
Haufe-Index 10715876 |
BB 2017, 1139 |