Die Umwelt ist komplex und nicht trivial

Ganz grundsätzlich – und das betrifft nicht nur die Balanced Scorecard – basieren die meisten der in der unternehmerischen Praxis eingesetzten betriebswirtschaftlichen Instrumente zudem auf einem mechanistischen Weltbild. Damit ist gemeint, dass davon ausgegangen wird, dass sich vorab geplante Wirkungen oder ein anvisierter Ergebniseffekt im Unternehmen durch ein gezieltes Verändern ganz bestimmter Stellhebel mehr oder weniger wie geplant erreichen lässt. Einem Uhrwerk gleich müssen nur die richtigen Rädchen gedreht werden, will das Unternehmen, respektive eine Führungskraft, eine bestimmte Veränderung herbeiführen. Die allen mechanistischen Instrumenten immanente Vorstellung, dass konkrete Ziel- oder Handlungsvorgaben von zentraler Stelle, also bspw. dem Gruppencontrolling, auch über mehrere Zwischenstufen effektiv in allen Details heruntergebrochen werden können, ist jedoch realitätsfern.[1]

Mehrstufige Kopplungsbeziehungen zwischen den zur Ergebnisrealisierung notwendigen "Elementen", d. h. bspw. Führungskräften, IT-Systemen, Kunden, Kennzahlen, Projekten etc., entziehen sich grundsätzlich sog. linear-analytischen, mechanistischen Führungseingriffen. Interpretieren Führungskräfte die mehrstufigen Kopplungssituationen fälschlicherweise als quasi rechentechnische Verknüpfungen, wie es bspw. die Balanced Scorecard suggerieren kann, unterliegen sie einer eigeninduzierten Scheinrationalität.

Weder bei den Messgrößen, noch bei den abzuleitenden Handlungsanweisungen können alle Interdependenzen in Bezug auf Wirkungsart, Wirkungsrichtung, Stärke sowie zeitlicher Reichweite erfasst bzw. prognostiziert werden. Vereinfacht ausgedrückt heißt dies, dass man in einem komplexen Unternehmen, weder exakt voraussehen kann, wie sich ein bestimmter Steuerungseingriff im Detail entwickelt, noch dass identifizierte Effekte auf eine ausreichend eindeutige Ursache zurückführbar sind. Kausalität ist ein Beobachterphänomen innerhalb von Problemlösungsprozessen und wird von außen in die Beobachtung hineingelesen. Berücksichtigt man dies nicht, kann der Versuch der Ursachenbestimmung in der "Paralyse durch Analyse" und ohne verwertbares Ergebnis enden.

Dieser schon vor Jahrzehnten von Ulrich und Malik und anderen Vertretern der St. Galler Schule in die wissenschaftlichen Diskussion eingebrachte Sachverhalt der unzulässigen Trivialisierung des Unternehmensführungsprozesses, bleibt auch von der BSC weitestgehend unberücksichtigt. Gerade die in den letzten Jahren wieder stärker in den Fokus rückende Berücksichtigung der spezifischen Charakteristiken und des spezifischen Verhaltens von komplexen sozialen Systemen (wie Sinnverarbeitung, nichtlineare Dynamik im Systemverhalten, Selbstorganisation und Selbstreferenz usw.) führt vor Augen, dass sich schwerpunktmäßig messbasierte Instrumente nur eingeschränkt zur strategischen Unternehmenslenkung eignen.

[1] Vgl. Malik, 2003, S. 36 f.

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