Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Zum 1.1.2007 wurde der Regelsteuersatz von 16 % auf 19 % angehoben und dann im Rahmen der coronabedingten temporären Steuersatzabsenkung in der Zeit vom 1.7. – 31.12.2020 auf 16 % zeitweilig abgesenkt. Damit entstanden – insbesondere bei Verträgen, die über einen längeren Zeitraum erfüllt wurden – besondere Abgrenzungsprobleme. Für die Lieferung und Installation bestimmter begünstigter Photovoltaikanlagen ergab sich durch Einführung des Nullsteuersatzes nach § 12 Abs. 3 UStG zum 1.1.2023 ein vergleichbares Problem. Die Umsatzsteuer entstand für alle bis zum jeweiligen Änderungstermin ausgeführten Leistungen oder Teilleistungen mit dem alten Steuersatz. Wurde aber eine Leistung oder Teilleistung erst nach dem Änderungszeitpunkt ausgeführt, entstand die Umsatzsteuer mit dem dann gültigen Steuersatz. Dies galt auch dann, wenn vor dem Änderungszeitpunktschon Anzahlungen vereinnahmt wurden. Für diese vereinnahmten Anzahlungen musste bei Ausführung der Leistung oder der Teilleistung eine Nachversteuerung (oder Entlastung) vorgenommen werden.
Steuerentstehung erst bei Ausführung
Die Steuer aus der Nachversteuerung von Anzahlungen entstand nicht in der ersten Voranmeldung nach dem Steuersatzwechsel, sondern erst dann, wenn die Leistung oder Teilleistung ausgeführt wurde, auf die sich die Anzahlung bezog.
Hatte der Bauunternehmer einen Bauvertrag abgeschlossen, in dem keine Teilleistungen vereinbart worden waren, konnte der Vertrag bis zum Stichtag des Steuersatzwechsels in einen Vertrag mit Teilleistungen umgestellt werden.
Änderung des Steuersatzes
Bauunternehmer B hatte im Dezember 2019 einen Vertrag über die schlüsselfertige Erstellung eines Zweifamilienhauses abgeschlossen. Besondere Vereinbarungen über Teilleistungen wurden nicht getroffen. Obwohl geplant war, das Gebäude in 2020 fertig zu stellen, verzögerte sich die Fertigstellung, sodass die letzten Arbeiten erst im Januar 2021 erbracht werden konnten. B und sein Auftraggeber konnten – vor dem 1.1.2021 – den Vertrag noch dahingehend abändern, dass die Ausführung von Teilleistungen vereinbart wurde. Soweit dann bis zum 31.12.2020 eine Abnahme der bis dahin ausgeführten Teilleistungen erfolgte, entstand eine Umsatzsteuer i. H. v. 19 % nur auf die nicht bis zum 31.12.2020 ausgeführten Teilleistungen, die bis zum 31.12.2020 ausgeführten und abgenommenen Teilleistungen unterlagen dem abgesenkten Steuersatz von 16 %. Wurde eine solche Vertragsänderung nicht vorgenommen, war die gesamte Leistung bei Leistungserbringung mit dem erhöhten Steuersatz zu besteuern.
Grundsätzlich sollte unabhängig von der Ausführung von Teilleistungen in jedem Vertrag eine eindeutige Regelung getroffen werden, welche Auswirkungen sich durch eine Änderung des Steuersatzes auf den vereinbarten Preis ergeben, auch wenn zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keine weitere Steuersatzanpassung absehbar ist – die kurzfristige Absenkung aufgrund der Corona-Krise wie auch die kurzfristige Umsetzung bei Einführung des Nullsteuersatzes bei bestimmten Photovoltaikanlagen hat gezeigt, dass Änderungen des Steuersatzes auch ohne langfristige Vorankündigung möglich sind. Soweit keine vertragliche Regelung erfolgte, kann nach § 29 UStG für alle Verträge, die länger als 4 Monate vor Änderung des Steuersatzes abgeschlossen worden waren, ein Ausgleich der umsatzsteuerrechtlichen Mehrbelastung gefordert werden.