Leitsatz
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass haftungsbegründende Pflichtverletzungen gem. § 69 AO – nur – die Nichtabgabe der Steuererklärungen und die Nichtabführung der sich insoweit ergebenden Zahlungen aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen sind, nicht jedoch – zusätzlich – der Zeitpunkt der tatsächlichen Fälligkeit der Steuerzahlungen und der Eintritt eines Schadens auf Seiten der Finanzverwaltung. Mit der so verstandenen Verwirklichung des Haftungstatbestands beginnt zugleich der Lauf der Haftungsverjährung gem. § 191 Abs. 3 Satz 3 AO.
2. Es ist auch nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Hemmung des Fristablaufs gem. § 191 Abs. 3 Satz 4 2. Alt. AO unabhängig davon ist, ob die der Haftung zugrunde liegende Steuer vor oder nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist für den Erlass des Haftungsbescheids gem. § 191 Abs. 3 Satz 2 AO festgesetzt worden ist.
3. Es ist schließlich nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Festsetzungsfrist für den Erlass eines Haftungsbescheids bei Vorliegen einer Steuerhinterziehung gem. § 191 Abs. 3 Satz 2 AO nur im Falle der Haftung gem. §§ 70 und 71 AO verlängert wird, in anderen Haftungsfällen jedoch nicht.
Normenkette
§ 69 AO , § 171 Abs. 10 AO , § 191 Abs. 1 AO , § 191 Abs. 3 AO
Sachverhalt
Wie Verjährungssachverhalte fast immer, ist auch dieser recht "vertrackt". Vor allem müssen Ihnen etliche Daten und Fristen zur Lektüre zugemutet werden, damit Sie die Sachlage einigermaßen nachvollziehen können:
Der Antragsteller war seit Gründung im Jahr 1980 bis zum 30.1.1997 1. Vorsitzender eines e.V., der erhebliche Einnahmen erzielte. Da für die Jahre 1987 bis 1992 keine Steuererklärungen abgegeben wurden, schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen und setzte gegen den Verein die USt dieser Jahre fest, und zwar – bezogen auf die Streitjahre 1987 und 1990 bis 1992 – mit Bescheiden vom 18.5.1992, 19.10.1993 und 16.6.1994. Der Verein legte dagegen Einspruch ein und gab im September 1995 USt-Erklärungen für 1987 bis 1992 ab. Aufgrund von Prüfungsmaßnahmen ergingen am 8.3.1999 USt-Änderungsbescheide. Außerdem wurden am 14.5. 1997 erstmalig GewSt-Messbeträge sowie GewSt für 1992 und 1993 festgesetzt. Das gegen den Antragsteller eingeleitete Steuerstrafverfahren u.a. betreffend GewSt 1992 wurde gem. § 153a StPO eingestellt.
Mit Bescheid vom 6.2.2001 nahm das FA den Antragsteller gem. §§ 34, 69 i.V.m. § 191 AO für GewSt 1992 und 1993 sowie USt 1987 und 1990 bis 1992 als Haftenden in Anspruch. Über den hiergegen gerichteten Einspruch wurde noch nicht entschieden.
Der Antragsteller beantragte beim FG, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids gem. § 69 Abs. 3 FGO auszusetzen. Das FG wies diesen Antrag im Hinblick auf die GewSt 1992 zurück, weil der Antragsteller insoweit Steuern hinterzogen und ihm deswegen die verlängerte zehnjährige Haftungsverjährung entgegenzuhalten sei. Im Übrigen gab das FG dem AdV-Antrag aber wegen Eintritts der Haftungsverjährung gem. § 191 Abs. 3 i.V.m. § 69 AO statt. Dagegen wandten sich sowohl der Antragsteller als auch das FA mit ihren Beschwerden.
Entscheidung
Der BFH hielt die Beschwerde des Antragstellers mangels Begründung für unzulässig. Die Beschwerde des FA hatte lediglich bezogen auf die USt Erfolg:
Da die im Grundsatz vierjährigen Festsetzungsfristen gem. § 191 Abs. 3 Satz 3 AO bereits in jenem Zeitpunkt zu laufen begännen, in denen der Antragsteller pflichtwidrig keine Steuererklärungen abgegeben habe, sei der Haftungsbescheid vom 6.2.2001 hinsichtlich der GewSt 1992 und 1993 ersichtlich zu spät ergangen. Denn der Pflichtenverstoß gem. § 69 AO sei zum 31.5.1993 bzw. 1994 verwirklicht worden. Dass der Schaden, den der Fiskus infolge der "Saumseligkeit" des Vereins erlitten habe, erst später erkennbar geworden sei, ändere daran nichts; auf den Schadenseintritt käme es für den Beginn des Fristenlaufs nicht an.
Gleiches gelte im Grundsatz auch für die USt 1987 und 1990. Hier sei der Pflichtenverstoß ebenfalls zum 31.5. des jeweiligen Folgejahrs verwirklicht. Allerdings gelange der Ablauftatbestand des § 191 Abs. 3 Satz 4 2. Alt. i.V.m. § 171 Abs. 10 AO zum Zug: Denn danach blieben dem FA nach Ergehen der Steuerfestsetzungen noch zwei Jahre Zeit, um die Steuerfestsetzungen gegenüber dem Haftungsschuldner durch Erlass eines Haftungsbescheids "umzusetzen". Diese zwei Jahre seien hier bzgl. der USt-Bescheide vom 8.3.1999 noch eingehalten worden, bzgl. der GewSt-Bescheide vom 14.5.1997 allerdings nicht.
Dass das FG den AdV-Antrag des Antragstellers bezogen auf die GewSt 1992 abgelehnt habe, weil insoweit wegen Steuerhinterziehung ein auf 10 Jahre verlängerte Verjährungszeitraum bestünde, sei zwar falsch. Die Haftungsverjährung betrage auch dann ausweislich des Gesetzes lediglich vier Jahre. Infolge der Unzulässigkeit der Beschwerde des Antragstellers wirke sich dieser Umstand für diesen jedoch nicht günstig aus. Auch eine Fehlersaldierung komme nicht in Betracht, weil die Haftungsinanspruchnahme für jede Steuerart und für jeden Steuerzeitraum in einen eigenen Bes...