Leitsatz
Ein Strafverfahren hat nur dann Einfluss auf die für die Hinterziehungszinsen geltende Festsetzungsfrist, wenn es bis zum Ablauf des Jahres eingeleitet wird, in dem die hinterzogenen Steuern unanfechtbar festgesetzt wurden.
Normenkette
§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO
Sachverhalt
Die Klägerin reichte im Februar 1987 beim FA vor Beginn einer LSt-Außenprüfung berichtigte LSt-Anmeldungen für IV/1983, 12/1984 und IV/1985 ein, die zuvor nicht angemeldete Steuerbeträge aufwiesen. Sie zahlte kurzfristig die nachgemeldeten Steuerbeträge. Das FA hob nach Durchführung der LSt-Außenprüfung, die im Übrigen zu keinen Beanstandungen führte, mit Bescheid vom 26.3.1987 den Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der LSt-Anmeldungen 1984 bis 1986 auf.
Am 27.1.1988 fertigte das StraBu-FA einen Aktenvermerk, wonach ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer der Klägerin eingeleitet werde. Am 11.1.1989 erließ das FA wegen der nachgemeldeten LSt-Beträge einen Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen.
Das FG gab der Klage statt. Der Zinsanspruch sei im Zeitpunkt der Festsetzung bereits verjährt gewesen.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. Die Vorschrift des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 (2. Halbsatz) AO 1977, auf die sich das FA stütze, betreffe nur solche Strafverfahren, die bis zum Ablauf des Jahres (hier: 1987) eingeleitet wurden, in dem die hinterzogenen Steuern unanfechtbar festgesetzt wurden. Im Streitfall sei das Strafverfahren jedoch erst 1988 – also verspätet – eingeleitet worden.
Hinweis
Die Vorschrift des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO über den Beginn der Festsetzungsfrist bei Hinterziehungszinsen enthält zwei Tatbestände. Zum einen beginnt – als allgemeine Regelung – die Festsetzungsfrist "mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Festsetzung der hinterzogenen Steuern unanfechtbar geworden ist" (1. Halbsatz). Unter Umständen wird der Beginn der Festsetzungsfrist jedoch hinausgeschoben. Denn nach dem 2. Halbsatz der Vorschrift beginnt die Festsetzungsfrist nicht "vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein eingeleitetes Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen worden ist".
Der Zweck der letztgenannten Regelung besteht darin, dem FA zu ermöglichen, zunächst das strafrechtliche Ermittlungsergebnis abzuwarten. Denn oft ist erst zum Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des Strafverfahrens klar, ob Steuern hinterzogen worden sind und Hinterziehungszinsen festzusetzen sind.
Die Besprechungsentscheidung hebt deutlich hervor, das die Vorschrift des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO (in beiden Halbsätzen) ausschließlich den Beginn der Festsetzungsfrist regelt. Der 2. Halbsatz der Vorschrift betrifft nur Strafverfahren, die bis zum Ablauf des Jahres eingeleitet worden sind, in dem die hinterzogenen Steuern unanfechtbar festgesetzt wurden.
Auch aus dem systematischen Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass es sich beim 2. Halbsatz nur um eine sog. Anlaufhemmung handelt, also eine Möglichkeit ist, um den Beginn einer noch nicht laufenden Frist hinauszuzögern. Wird demnach ein Strafverfahren zu spät eingeleitet, so beginnt die Festsetzungsfrist – wenn diese nach dem 1. Halbsatz bereits zu laufen begonnen hat – nicht nochmals von Neuem. Die spätere Einleitung des Strafverfahrens hat dann also keinen Einfluss mehr auf den Beginn der Festsetzungsfrist.
Der 2. Halbsatz der Vorschrift vermittelt auch keine Möglichkeit, eine bereits laufende Frist in ihrem Ablauf zu hemmen (Ablaufhemmung) oder gar zu unterbrechen.
Die Besprechungsentscheidung führt auch zu keinem Ergebnis, das für das FA unangemessen wäre. Wird ein Strafverfahren nicht rechtzeitig eingeleitet, so verbleibt dem FA jedenfalls noch (mindestens) ein Jahr (vgl. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO), bevor die Festsetzungsfrist für die Hinterziehungszinsen abläuft. Im Übrigen bleibt es dem FA unbenommen, den Bescheid über die Hinterziehungszinsen vorläufig zu erlassen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 24.8.2001, VI R 42/94