Leitsatz
1. Der Herstellungsbeginn i.S. des § 6b Abs. 3 Satz 3 EStG ist anzunehmen, wenn das Investitionsvorhaben "ins Werk gesetzt" wird. Dies kann vor den eigentlichen Bauarbeiten liegen.
2. Reine Vorbereitungsarbeiten in der Entwurfsphase reichen nicht aus, um von dem Beginn der Herstellung nach § 6b Abs. 3 Satz 3 EStG ausgehen zu können.
3. Die Höhe des Gewinnzuschlags nach § 6b Abs. 7 EStG ist jedenfalls bis zum Jahr 2009 nicht verfassungswidrig.
Normenkette
§ 6b Abs. 3, Abs. 7 EStG, § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Der Kläger hatte in seiner Bilanz zum 30.6.2005 einen Sonderposten mit Rücklageanteil gebildet, den er steuerlich als Rücklage nach § 6b EStG berücksichtigte. Die Rücklage wurde auf ein in einem späteren Jahr fertiggestelltes Betriebsgebäude übertragen. Für dieses Bauvorhaben hatte der Kläger nach dem 6.7.2010 einen Statiker beauftragt; der Bauantrag war vom Architekten am 15.6.2010 gezeichnet und vom Kläger am 22.6.2010 bei der Baubehörde eingereicht worden. Der Architekt hatte insgesamt 192 Arbeitsstunden für die Zeit vom 19.5.2009 bis zum 30.6.2010 in Rechnung gestellt. Davon betrafen 66,5 Stunden die Vor- und Entwurfsplanung in der Zeit bis zum 30.6.2009. Das FA war der Auffassung, die § 6b-Rücklage könne nicht auf das Gebäude übertragen werden. Der Bauantrag sei nicht zum Ende der vierjährigen Investitionsfrist eingereicht worden, sodass zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit der Herstellung begonnen worden sei. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG München, Urteil vom 14.2.2017, 6 K 2143/16, Haufe-Index 10526893, EFG 2017, 643).
Entscheidung
Die Revision des Klägers war unbegründet. Der BFH urteilte, das FG habe zu Recht die bis zum 30.6.2009 vom Kläger ergriffenen Maßnahmen als nicht ausreichend angesehen, um den für eine Verlängerung des Investitionszeitraums auf sechs Jahre nötigen Beginn der Herstellung ausreichend zu dokumentieren.
Hinweis
1. Die Reinvestitionsrücklage nach § 6b EStG dient dem Zweck, die aufgrund bestimmter Veräußerungsvorgänge frei werdenden stillen Reserven steuerrechtlich nicht sofort zu erfassen, sondern sie auf ein Reinvestitionsgut zu übertragen. Die Übertragung muss dabei innerhalb der in § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG genannten Fristen geschehen. Mit der Verlängerung der grundsätzlich vierjährigen Reinvestitionsfrist auf sechs Jahre bei der Herstellung von Gebäuden wird berücksichtigt, dass diese erfahrungsgemäß eine längere Planungs- und Bauzeit erfordert. Die Verlängerung der Reinvestitionsfrist ist allerdings von der weiteren Voraussetzung abhängig, dass innerhalb der allgemein geltenden Vierjahresfrist bereits mit der Herstellung des Reinvestitionsobjekts begonnen worden ist.
2. Deshalb kann der Steuerpflichtige die Verlängerung der Reinvestitionsfrist nicht mit der Behauptung erreichen, er beabsichtige, die Rücklage auf ein Gebäude zu übertragen; vielmehr muss er diese Absicht durch den Beginn der Herstellung dokumentieren.
3. Der Herstellungsbeginn ist anzunehmen, wenn das konkrete Investitionsvorhaben "ins Werk gesetzt" wurde. Dieser Zeitpunkt kann vor den eigentlichen Bauarbeiten liegen. Ein sicheres Indiz für einen Herstellungsbeginn ist die Stellung des Bauantrags, es sei denn, das hergestellte Gebäude stimmt nicht mit dem genehmigten Gebäude überein.
4. Das "Ins-Werk-Setzen" muss aber nicht zwingend mit der Stellung eines Bauantrags verbunden sein. Handlungen in dessen Vorfeld können ausreichen. So sollte – analog zur Investitionszulage – als Beginn der Herstellung bei Gebäuden der Abschluss eines der Ausführung zuzurechnenden Lieferungs- oder Leistungsvertrags oder die Aufnahme von Bauarbeiten genügen. Auch kann die Planung als Teil der Herstellung zu berücksichtigen sein, denn Planung und Errichtung des Bauwerks bilden einen einheitlichen Vorgang. Die Planungen müssen aber so konkret und verbindlich sein, dass diese der Ausführungsphase und damit dem Beginn der Herstellung gleichgestellt werden können.
5. Soweit eine nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG gebildete Rücklage gewinnerhöhend aufgelöst wird, ohne dass ein entsprechender Betrag nach Abs. 3 abgezogen wird, ist gemäß § 6b Abs. 7 EStG der Gewinn des Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 % des aufgelösten Rücklagebetrags zu erhöhen. Die Höhe des Gewinnzuschlags ist jedenfalls bis zum Jahr 2009 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.7.2019 – X R 7/17