Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Zum 18.12.2019 ist in § 25 UStG eine gesetzliche Änderung umgesetzt worden, nach der die Sonderregelung zur Besteuerung von Reiseleistungen nicht – wie es bis dahin gesetzlich angelegt war – nur für Leistungen gegenüber einem Nichtunternehmer zur Anwendung kommt, sondern auch für Leistungen, die an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt werden. Die Finanzverwaltung hat jetzt für die Zeit bis zum 17.12.2019 die uneingeschränkte Möglichkeit eröffnet, sich auch in B2B-Fällen unmittelbar auf Art. 306 ff. MwStSystRL zu berufen.
Dies betrifft zum einen insbesondere die Beurteilung der Reiseleistungen, die an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt werden. Hier kann sich – auch nach der Rechtsprechung des BFH – der leistende Unternehmer auf Art. 306 ff. MwStSystRL berufen, auch wenn die Leistung vor dem 18.12.2019 ausgeführt worden ist.
Das Berufungsrecht bezieht sich dabei individuell auf jede einzelne Leistung, bindet also nicht den Unternehmer für alle diese Leistungen gleichermaßen Dies gilt aber nur insoweit, wie es sich auch tatsächlich um unter die Regelung des § 25 UStG fallende Leistungen handelt, nicht also für Vermittlungsleistungen oder für Eigenleistungen.
Zum anderen kann sich der Unternehmer auch für an ihn ausgeführte Leistungen auf die Anwendung der Besteuerungsgrundsätze für Reiseleistungen berufen, wenn er Leistungen von ausländischen Unternehmern bezieht, die unionsrechtlich als Reiseleistungen anzusehen sind.
In dem vom BFH zu entscheidenden Fall bezog ein inländischer Unternehmer von einem in Österreich ansässigen Unternehmer Reisevorleistungen, die selbst Reiseleistungen i. S. d. § 25 UStG darstellten. Der deutsche Unternehmer unterwarf seine Ausgangsleistungen gegenüber inländischen Leistungsempfängern der Besteuerung nach § 25 UStG. Die Finanzverwaltung ging bei dem Leistungsbezug des deutschen Unternehmers nicht von ihm gegenüber erbrachten Reiseleistungen aus (da eine B2B-Leistung vorlag) und unterwarf die damit dann in Deutschland ausgeführten Umsätze des österreichischen Unternehmers dem Reverse-Charge-Verfahren nach § 13b UStG, sodass der deutsche Unternehmer die Umsatzsteuer schuldete, die er – da er selbst Reiseleistungen ausführte – nicht als Vorsteuer abziehen durfte. Der BFH stellte dementgegen fest, dass sich der deutsche Unternehmer auf Art. 306 ff. MwStSystRL auch bei ihm gegenüber ausgeführten Umsätzen berufen könne. In diesem Fall waren die Leistungen des österreichischen Unternehmers an dessen Unternehmenssitz ausgeführt, in Deutschland nicht steuerbar und konnten damit in Deutschland auch nicht zur Übertragung der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG führen.
Beruft sich ein Unternehmer auf Art. 306 ff. MwStSystRL muss sich dies nicht korrespondierend bei dem anderen Unternehmer auswirken. Erst wenn sich auch der andere Vertragspartner auf den Vorrang des Unionsrechts beruft, führt dies bei ihm zu den sich daraus ergebenden Konsequenzen.
Hat sich ein Unternehmer für seine Ausgangsleistungen auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts für seine Ausgangsleistungen berufen und auch vor dem 18.12.2019 für B2B-Leistungen § 25 UStG angewendet, muss er für diese Leistungen nicht die individuelle Marge zwischen der Einnahme für diese Leistung und den aufgewendeten Reisevorleistungen ermitteln. Er kann diese durch Anwendungsvorrang in die Reiseleistungsbesteuerung einbezogene Leistung auch in die Ermittlung der für Gruppen von Reisen einheitlich berechneten Marge nach § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG (in der bis zum 17.12.2019 geltenden Fassung) einbeziehen.
Konsequenzen für die Praxis
Die Finanzverwaltung hat zu einem Sachverhalt Stellung bezogen, der längstens bis zum 17.12.2019 in der Praxis so streitig gewesen sein kann. Ab dem 18.12.2019 ergeben sich diese Rechtsfolgen unmittelbar aus dem geänderten § 25 UStG.
Leider hat es die Finanzverwaltung bis heute nicht geschafft, zu der seit dem 18.12.2019 geltenden Regelung Hinweise zu geben. Insbesondere ergeben sich hier in der Praxis Probleme bei der Ausführung von Leistungen in Unternehmerketten (z. B. auch bei verbundenen, aber nicht einheitlichen Unternehmen) durch den nicht vorhandenen Vorsteuerabzug des jeweiligen Leistungsempfängers für die Reisevorleistungen.
Die Grundsätze gelten in allen offenen Fällen (für die bis zum 17.12.2019 ausgeführten Umsätze).
Link zur Verwaltungsanweisung
BMF, Schreiben v. 30.11.2020, III C 2 – S 7419/19/10001 :001, BStBl 2020 I S. 1338.