Leitsatz

Erbringt ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung vorübergehend außerhalb der Wohnung und des dauerhaften Mittelpunkts seiner beruflichen Tätigkeit, so begründet er dort auch nach Ablauf von drei Monaten keine (weitere) Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, wenn sich die auswärtige Tätigkeit im Vergleich zur Arbeit an der (bisherigen) regelmäßigen Tätigkeitsstätte als untergeordnet darstellt (insoweit gegen Abschn. 25 Abs. 3 Satz 2 LStR 1984 und 1987, Abschn. 37 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Satz 3 LStR 1990).

 

Normenkette

§ 3 Nr. 16 EStG , § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger betrieb ein Architekturbüro in X mit rund 14 angestellten Architekten. Diese unternahmen im Rahmen ihrer Tätigkeit als Bauleiter in wechselndem Umfang tage- oder stundenweise Reisen zu (Groß-)Baustellen, um dort oder auch bei den Auftraggebern, Handwerkern und Baubehörden die Leistungen des Büros an Ort und Stelle zu koordinieren. Die Bauaufträge erstreckten sich über mehrere Jahre.

Der Kläger erstattete seinen Angestellten die Fahrtkosten mit 0,42 DM pro Kilometer und Verpflegungsmehraufwendungen nach Dienstreisegrundsätzen. Das FA beanstandete diese Praxis, soweit sie Fahrten betraf, die über die Dreimonatsfrist hinausgingen, und erließ einen LSt-Haftungsbescheid gegen den Kläger. Die Klage hatte teilweise Erfolg.

 

Entscheidung

Auf die Revision des Klägers hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache zurück. Er vertrat die Auffassung, bei den angestellten Architekten lägen auch nach Ablauf der Dreimonatsfrist Dienstreisen zu den Baustellen vor. Die Architekten hätten den wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit im Büro in X zu erledigen. Nach den im Streitfall vorliegenden Gegebenheiten hätten die Arbeiten auf den Baustellen untergeordneten Charakter. Der Kläger hätte die Fahrtkosten nach § 3 Nr. 16 EStG steuerfrei erstatten können.

Was die Verpflegungsmehraufwendungen betreffe, sei die Sache jedoch nicht spruchreif. Es sei insoweit noch zu klären, ob in Fällen der vorliegenden Art die in den maßgeblichen Verwaltungsanweisungen gewährten Pauschsätze nach dem Verständnis der Verwaltung (ggf. der Verwaltungspraxis) zu gewähren seien.

 

Hinweis

1. Die vorliegende Grundsatzentscheidung ist zur Rechtslage vor 1996 ergangen; sie hat jedoch – was die Fahrtkosten betrifft – auch für die Rechtslage ab 1996 grundsätzliche Bedeutung.

2. Verrichtet ein Arbeitnehmer Arbeit an verschiedenen Tätigkeitsstätten, so ist (zunächst) zu prüfen, ob diese im Verhältnis der Gleichordnung oder der Über- bzw. der Unterordnung zueinander stehen. Sind die Tätigkeitsstätten gleichgeordnet, so liegen zwei regelmäßige Arbeitsstätten (oder Einsatzwechseltätigkeit) vor. Besteht ein Verhältnis der Über- bzw. der Unterordnung der Tätigkeitsstätten, kommt eine Dienstreise in Betracht. Denn eine Dienstreise liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer Dienste an verschiedenen Tätigkeitsstätten erbringt und die regelmäßige Arbeitsstätte unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls gegenüber der vorübergehenden Auswärtstätigkeit als dauerhafter Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit erscheint.

3. Die Finanzverwaltung vertritt – u.a. in den im Leitsatz angeführten Richtlinien – die Auffassung, bei einer längerfristigen vorübergehenden Auswärtstätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte sei nach Ablauf der ersten drei Monate keine Dienstreise mehr anzuerkennen und fortan die auswärtige Tätigkeitsstätte als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen (sog. Dreimonatsregelung). Diese zulasten von Dienstreisen gehende Ansicht teilt der BFH nicht.

4. Was die Fahrtkosten betrifft, arbeitet die Verwaltung insoweit mit der Fiktion dergestalt, dass die auswärtige Tätigkeitsstätte nach Ablauf der Dreimonatsfrist in den Typus des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG hineingewachsen ist mit der Folge, dass die Fahrtkosten nur noch in eingeschränktem Umfang abziehbar sind.

Es ist zwar richtig, dass die Tätigkeit am auswärtigen Einsatzort eine solche Nachhaltigkeit erreichen und dieser Einsatzort zur weiteren regelmäßigen Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG erstarken kann. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer zu einem länger als drei Monate dauernden auswärtigen Lehrgang abgeordnet worden ist und während der Teilnahme an dieser Fortbildung gar nicht (oder nur tage- oder wochenweise) Dienst an seiner dauerhaften regelmäßigen Arbeitsstätte verrichtet.

5. Voraussetzung für die Begründung einer weiteren regelmäßigen Arbeitsstätte ist jedoch, dass die auswärtige Tätigkeit sich bei wertender Betrachtung im Vergleich zur Arbeit an der (bisherigen) regelmäßigen Tätigkeitsstätte nicht als untergeordnet, sondern zumindest gleichgeordnet darstellt. Anhaltspunkte dafür, dass ein Verhältnis der Gleichordnung von mehreren Tätigkeitsstätten vorliegt, können sich etwa aus der Dauer und dem Gewicht der jeweiligen Tätigkeiten, der ständigen Rückkehr zur regelmäßigen Arbeitstätte und aus der Verkehrsanschauung ergeben. Dies ergab sich schon bisher a...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge