Leitsatz
Für die Frage, ob Überentnahmen vorliegen, ist der allgemeine Gewinnbegriff des § 4 Abs. 1 EStG maßgeblich. Es kommt insbesondere nicht auf einen abweichenden Cash-flow an, der sich aufgrund eines hohen Abschreibungsvolumens ergibt. Im Übrigen ist die Regelung des § 4 Abs. 4a EStG nicht verfassungswidrig, weil unter keinem denkbaren Gesichtspunkt gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoßen wurde.
Sachverhalt
Eine Zahnärztin verzeichnete im Jahr 1999 DM 48.637 Gewinn. Da die Entnahmen mit DM 196.724 die Einlagen in Höhe von DM 19.997 wesentlich überstiegen, nahm das Finanzamt in Höhe des Differenzbetrages von DM 128.090 eine Überentnahme an. Bei der pauschalierten 6%-igen Zinsbesteuerung wurden dem Gewinn DM 7.685 hinzu gerechnet. Die Klägerin machte im Wesentlichen geltend, dass nach Sinn und Zweck des § 4 Abs. 4a EStG auf den Cash-flow abzustellen sei, der im vorliegenden Fall aufgrund hoher Abschreibungen wesentlich höher als der steuerliche Gewinn ausgefallen ist. So gesehen falle aber das finanzielle Ausbluten des Betriebes wesentlich geringer aus, so dass eine niedrigere Überentnahme festzustellen sei. im entschiedenen Fall betrugen die Abschreibungen DM 62.113. Darüber hinaus machte die Klägerin geltend, dass ein Großteil der Zinszahlungen aus Darlehensverträgen herrühre, die vor Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen wurden, so dass die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße.
Entscheidung
Das Finanzgericht Münster sah keine Veranlassung, für § 4 Abs. 4a EStG einen gesonderten Gewinnbegriff anzunehmen. Der Gewinnbegriff § 4 Abs. 1 EStG ist legal definiert. In § 4 Abs. 4a EStG wird auf diesen Gewinnbegriff ohne Hinweis auf irgendwelche Abweichungen Bezug genommen. Auch der Sinn und Zweck des § 4 Abs. 4a EStG gebietet keine andere Anschauungsweise. Es ist ausdrücklich von einer typisierenden Regelung die Rede, was mit der sich andernfalls ergebenden Notwendigkeit unvereinbar ist, beim für die Überentnahme maßgeblichen Gewinn noch umfangreiche Positionen zu- bzw. abzurechnen.
§ 4 Abs. 4a EStG begegnet ferner keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Gericht nimmt eine so genannte unechte Rückwirkung an. Eine echte Rückwirkung wird nur dann angenommen, wenn Normen für einen Veranlagungszeitraum gelten, der bei der Verkündung der Norm bereits abgelaufen war. Liegt dagegen eine so genannte unechte Rückwirkung vor, gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes weniger strenge Maßstäbe. Hier kann das Rückwirkungsverbot schon durchbrochen werden, wenn der Betroffene mit einer neuen Regelung rechnen musste (Beschluss des BVerG in BVerfGE 97/67).
Zugrunde liegt dem Streitfall die Behandlung des sog. genannten Zwei-Kontenmodells. Vor der Entscheidung des Großen Senats (BFH, Beschluss v. 8.12.1997, GrS 1-2/95, GrS 1/95, GrS 2/95, BStBl 1998 II S. 193) war auch innerhalb des BFH umstritten, ob der aufgrund des Zweikontenmodells mögliche Schuldzinsenabzug uneingeschränkt anerkannt werden kann. Nach dem Beschluss des Großen Senats hatte sich der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages bereits am 28.01.1998 dafür ausgesprochen, das Zweikontenmodell gesetzlich zu sanktionieren. Da die Kreditverträge der Klägerin einerseits vor dem Beschluss des Großen Senates, andererseits nach der Erklärung des Finanzausschusses datierten, war es nicht möglich, dass bei ihr ein schutzwürdiges Vertrauen gebildet werden konnte.
Hinweis
Das Finanzgericht hat die Revision nicht zugelassen, da einerseits der Angelegenheit die grundsätzliche Bedeutung abgesprochen wurde und andererseits die verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der unechten Rückwirkung als geklärt angesehen werden. Obwohl das Urteil in sich schlüssig wirkt und von zutreffenden gesetzlichen Interpretationen ausgeht, hinterlässt es immer einen schalen Beigeschmack, wenn ein Finanzgericht als erstes über eine steuerliche Problematik, die durchaus für alle betroffenen Steuerbürger von Interesse ist, das grundsätzliche Interesse rundweg ablehnt, vermutlich nur, um den BFH zu schonen. Nach wie vor ist kein Grund, die Revision nicht zuzulassen, wenn diese den Finanzrichtern als aussichtslos erscheint.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 16.10.2003, 8 K 2688/02 F