Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Mit dem Erwerb neuer Anteile im Zuge der Verschmelzung beginnt für den Anteilseigner die nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG maßgebliche Veräußerungsfrist von einem Jahr.
Normenkette
§ 129 AO, § 6, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG, § 255 Abs. 1 HGB, § 13 UmwStG
Sachverhalt
Herr K erwarb am 22.03.1999 für 2 050 € Anteile an einer GmbH, die sich im April 1999 in eine AG umwandelte. Am 14.12.1999 wurde sie auf eine zuvor gegründete AG verschmolzen. Am 27.06.2000 veräußerte Herr K seine in Zuge der Verschmelzung erhaltenen Anteile für 5 125 Mio. €. Das FA unterwarf 5 125 Mio. DM (merke: DM und nicht €) der Besteuerung. Herr K meinte, dieser Vorgang sei gar nicht steuerbar (denn zwischen Anschaffung im März 1999 und Veräußerung im Juni 2000 liege mehr als ein Jahr).
Das FG wies die Klage ab (FG Münster, Urteil vom 07.08.2007, 1 K 4684/05 E,F, Haufe-Index 1855232, EFG 2008, 392). Es konnte dahin stehen lassen, ob der Gewinn um Veräußerungs- und Anschaffungskosten zu vermindern sei und konnte kompensieren mit in jedem Fall zu niedrig ermitteltem Gewinn (DM-Euro-Verwechslung). Einen Tag nach der mündlichen Verhandlung vor dem FG änderte das FA die Steuerfestsetzung nach § 129 AO und erfasste nun den vollen Euro-Betrag als Gewinn.
Entscheidung
1. Der BFH musste die FG-Entscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen aufheben; denn das FG hatte ja nicht über den aktuellen Bescheid entschieden. Der BFH hatte die Sache an das FG zurückverwiesen, weil dieses noch den Gewinn richtig ermitteln musste. Das FA hatte nämlich die Einnahmen als Gewinn erfasst, ohne die Anschaffungskosten und die Veräußerungskosten zu berücksichtigen.
2. Im Übrigen aber und im Kern hat der BFH die FG-Entscheidung bestätigt. Wie sich aus den Praxis-Hinweisen ergibt, führt die Verschmelzung auf Anteilseignerebene zu einem Anteilstausch und damit zu Anschaffungskosten. Damit betrug der Zeitraum zwischen Anschaffung (durch Verschmelzung im Dezember 1999) und Veräußerung (Juni 2000) nicht mehr als ein Jahr, und der Vorgang ist steuerbar.
3. Da der aktuelle Bescheid Verfahrensgegenstand ist, musste sich der BFH auch mit § 129 AO befassen, und auch hier ist seine Entscheidung klar: Die Verwechslung von € und DM ist eine offenbare Unrichtigkeit.
Hinweis
1. Eine Verschmelzung ist eine besondere Form der Umwandlung, geregelt im UmwG (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2 ff. UmwG). Das gesamte Vermögen geht durch Gesamtrechtsnachfolge von einem Rechtsträger als Ganzes auf einen anderen über. Die steuerrechtlichen Folgen regelt das UmwStG.
2. Erhält nun ein Anteilseigner im Zuge der Verschmelzung Anteile an der übernehmenden Körperschaft, stellt sich die Frage, ob er diese Anteile damit anschafft. Dies ist für Steuertatbestände bedeutsam, die – wie § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG – auf die Anschaffung abstellen.
3. Der BFH hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem der Steuerpflichtige die im Rahmen der Verschmelzung erhaltenen Anteile binnen Jahresfrist seit der Verschmelzung, allerdings mehr als ein Jahr nach dem Erwerb der Anteile an der übertragenden Körperschaft wieder veräußerte. Sieht man in der Verschmelzung eine Anschaffung, ist der Steuertatbestand des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG erfüllt, und wenn nicht, dann nicht.
4. Der BFH hat die Frage bejaht. Erhält der Anteilseigner im Zuge einer Verschmelzung der Körperschaft, an der er beteiligt ist, auf eine andere Körperschaft Anteile dieser anderen Körperschaft, so handelt es sich um einen Tausch der Anteile. Und ein Tausch ist ein entgeltliches Geschäft, also eine Anschaffung. Maßgeblich für die Besteuerung des Anteilseigners im UmwStG ist § 13. Danach gelten die Anteile an der übertragenden Körperschaft als zu den Anschaffungskosten veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile als mit diesem Wert angeschafft. Hierin sieht der BFH keine Fiktion des Verschmelzungsvorgangs als Anschaffung, sondern eine Fiktion der Kosten. Hintergrund der Regelung: Einerseits will das Gesetz eine steuerneutrale Verschmelzung ermöglichen, andererseits aber auch die in den Anteilen an der übertragenden Körperschaft liegenden stillen Reserven sicherstellen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.08.2008 – IX R 71/07