Leitsatz
Der EuGH sieht im derzeit geltenden nationalen belgischen Erbschaftsteuerrecht einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Begründung: Wegen des für Ausländer geltenden Abzugsverbots von Hypothekenverbindlichkeiten wird dieses Immobilienvermögen von ausländischen Besitzern stärker besteuert als Vermögen belgischer Staatsbürger.
Sachverhalt
Dem Rechtsstreit stand die Frage zu Grunde, ob Verbindlichkeiten, die auf einer Immobilie lasten, bei der belgischen Erbschaftsteuer auch dann zu berücksichtigen sind, wenn der verstorbene Immobilieneigentümer in Deutschland ansässig war.
Geklagt haben die Erben der in Deutschland im Jahr 2003 verstorbenen deutschen Staatsangehörigen H. Eckelkamp. Die Erblasserin hinterließ eine in Knokke-Heist (Belgien) belegene Immobilie, welche zur Sicherung der Rückzahlung einer Schuld gegenüber den Erben diente. Die Verbindlichkeiten der Erblasserin gegenüber den Klägern (der Familie Eckelkamp) wurden mittels schriftlichem Schuldanerkenntnis dokumentiert und mit einer Hypothek auf die in Belgien belegene Immobilie abgesichert. Die belgische Bundesbehörde für Finanzen, Verwaltung der Mehrwertsteuer, Registrierung und Staatsbesitz (FOD Financiën, Administratie van de BTW, registratie en domeinen) verweigerte die steuerliche Berücksichtigung der auf dem Grundstück lastenden Hypothek mit der Begründung, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Ablebens nicht in Belgien gewohnt habe.
Das nationale belgische Recht (Flämischen Wetboek Successierechten - Erbschaftsteuergesetzbuch) bestimmt, dass eine Erbschaftsteuer auf den Wert - nach Abzug der Verbindlichkeiten - eines gesamten Nachlassvermögens erhoben wird, "was aus dem Nachlass eines Einwohners des Königreichs bezogen wird". Für alle übrigen Erwerbe, also Nachlassvermögen solcher Erblasser, die nicht Einwohner des Königreichs sind, sieht das nationale belgische Erbschaftsteuerrecht eine Vermögensübergangsteuer auf den Wert der in Belgien belegenen Immobilie vor. Bei dieser Vermögensübergangsteuer ist ein Abzug von Verbindlichkeiten hingegen nicht vorgesehen. Dieses Vermögen wird vielmehr "ohne Abzug von Belastungen für alle in Belgien belegenen Immobilien erhoben, die dem Erblasser gehörten."
Entscheidung
Der EuGH verneinte die Rechtmäßigkeit der belgischen nationalen Regelung unter Berufung auf die Kapitalverkehrsfreiheit. Gemäß Art. 56 Abs. 1 EG sind allgemeine Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten rechtswidrig. Eine solche allgemeine nicht zulässige Beschränkung des Kapitalverkehrs sah der EuGH in dem Fall gegeben, weil das nationale belgische Recht einen Steuerabzug von auf Immobilien lastende Schulden dann vorsieht, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens in Belgien lebte. Der EuGH nahm dabei Bezug auf die Urteile "van Hilten-van der Heijden" und "Jäger" und bestätigte erneut, dass zu den unzulässigen - den Kapitalverkehr beschränkenden - Maßnahmen insbesondere solche gehören, die eine Wertminderung des Nachlasses jener Erblasser bewirken, die ihr Vermögen in einem anderen EU-Mitgliedstaat haben, als jenem, in dem sie wohnen.
Hinweis
Die belgischen innerstaatlichen Bestimmungen, welche bewirken, dass belgisches Immobilienvermögen von ausländischen EU-Bürgern einer höheren Besteuerung unterliegt als die Erbschaftsteuer auf das hinterlassene Vermögen belgischer Staatsbürger, widersprechen dem geltenden EU-Recht. Nachdem bei Immobilien das so genannte "Belegenheitsprinzip" gilt, müssen etwaige Verfahren zur Rückforderung eventuell zu viel gezahlter Steuern unter Berufung auf dieses EuGH-Urteil vor den belgischen Finanzbehörden betrieben werden. Deutsche Staatsbürger, die belgisches Immobilienvermögen erben, sind davon ganz besonders betroffen. Da es zwischen Deutschland und Belgien kein Erbschaftsteuer-Doppelbsteuerungsabkommen gibt, unterliegen solche Immobilien der "doppelten" Besteuerung, nämlich in Belgien und auch nach deutschem Recht. Zwar ist die belgische Erbschaftsteuer nach § 21 ErbStG auf die deutsche anrechenbar. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die belgische Steuer "keinem Ermäßigungsanspruch" unterliegt. Ein solcher Anspruch besteht jedoch, da sich der deutsche Erblasser auf das vorliegende EuGH-Urteil berufen und zuviel gezahlte Steuer von den belgischen Behörden rückfordern kann. Werden keine Rückforderungen geltend gemacht, dürfte die deutsche Steuerverwaltung keine Anrechnung des Anspruchs auf die deutsche Erbschaftsteuer billigen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 11.09.2008, C-11/07