Leitsatz

1. Der für die Berücksichtigung von Vorerwerben maßgebliche 10-Jahres-Zeitraum des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist rückwärts zu berechnen. Dabei ist der Tag des letzten Erwerbs mitzuzählen.

2. Bei der Berechnung des 10-Jahres-Zeitraums des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist § 108 Abs. 3 AO nicht anzuwenden.

 

Normenkette

§ 14 ErbStG, § 108 Abs. 1 und 3 AO, § 187, § 188 Abs. 2 BGB

 

Sachverhalt

Der Kläger und seine Ehefrau schenkten ihrem Sohn am 31.12.1998 ein Grundstück. Mit Vertrag vom 31.12.2008 schenkte der Kläger seinem Sohn ein weiteres Grundstück. In den Verträgen wurde jeweils die Auflassung beurkundet und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch durch den Kläger bzw. seine Ehefrau bewilligt. Bei der Festsetzung der Schenkungsteuer für den Erwerb vom 31.12.2008 ging das FA davon aus, dass der Erwerb vom 31.12.1998 als Vorerwerb gem. § 14 ErbStG zu berücksichtigen sei.

Das FG gab der Klage statt und verneinte die Anwendbarkeit des § 14 ErbStG, weil diese außerhalb des 10-Jahres-Zeitraum erfolgt sei (Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.6.2011, 3 K 136/11, Haufe-Index 2740099, EFG 2012, 260).

 

Entscheidung

Der BFH hat das FG bestätigt. Der Erwerb vom 31.12.1998 war nicht als Vorerwerb zu berücksichtigen, weil die Grundstücksschenkungen jeweils am 31.12.1998 bzw. 31.12.2008 ausgeführt waren und die Schenkungsteuer zu diesen Zeitpunkten entstanden war (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Demgemäß hatte die 10-Jahres-Frist für den letzten Erwerb bereits am 1.1.1999 geendet.

 

Hinweis

Nach § 14 Abs. 1 ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise zusammengerechnet, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert zugerechnet werden. Damit soll verhindert werden, dass mehrere Teilerwerbe gegenüber einem einheitlichen Erwerb (durch den Progressionsvorteil sowie mehrfache Ausnutzung des persönlichen Freibetrags) begünstigt werden. Die Berechnung der 10-Jahres-Frist war bislang mit Unsicherheiten belastet, soweit es einer taggenauen Fristberechnung bedurfte.

Die für § 14 ErbStG geltenden Grundsätze der Fristberechnung lassen sich nur sachangemessen lösen, wenn man den Regelungsmechanismus dieser Vorschrift im Auge behält: Die Vorschrift enthält lediglich eine besondere Anordnung für die Berechnung der Steuer für den letzten Erwerb; die mehreren Erwerbe werden also nicht etwa zu einem einheitlichen Erwerb zusammengefasst.

1. Ausgehend von diesem Regelungsmechanismus ist die 10-Jahres-Frist ausgehend vom Datum der Steuerentstehung für den letzten Erwerb – er ist Anlass und Ausgangspunkt für die Fristberechnung – rückwärts gerichtet zu berechnen. Die Steuerentstehung bestimmt sich nach § 9 ErbStG. Bei Erwerben von Todes wegen ist Steuerentstehungszeitpunkt grundsätzlich der Todeszeitpunkt des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), bei Schenkungen unter Lebenden der Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).

2. Für die Berechnung des 10-Jahres-Zeitraums gilt § 108 Abs. 1 AO, weil diese Vorschrift die Berechnung aller verfahrensrechtlichen und materiellen Fristen im Steuerrecht betrifft. Die Fristberechnung erfolgt daher nach Maßgabe der §§ 187ff. BGB, auf die § 108 Abs. 1 AO verweist.

Fristbeginn ist bei der Rückwärtsberechnung der 10-Jahres-Frist das Ende des Tages, an dem der letzte Erwerb erfolgt ist. Hiervon ausgehend tritt das Ende des 10-Jahres-Zeitraums mit dem Ablauf des vorhergehenden Tages ein (analog § 188 Abs. 2 Alternative 2 BGB). Wurde als z.B. eine Grundstücksschenkung am 31.12.2011 ausgeführt, so endet die 10-Jahres-Frist am 1.1.2002 um null Uhr.

3. Ausschließlich diese Grundsätze der Fristberechnung gelten auch, wenn der Fristablauf (im Rahmen der Rückwärtsberechnung) auf einen Sonnabend, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt. Die Sonderregelung des § 108 Abs. 3 AO gilt nicht. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des § 14 ErbStG, der für die Berücksichtigung von Vorerwerben "innerhalb von Jahren" eine absolute zeitliche Grenze setzt.

4. Für die Praxis schaffen diese Grundsätze Klarheit über die Modalitäten der Fristberechnung. Letztlich lässt sich die 10-Jahres-Frist des § 14 ErbStG allerdings nur dann rechtssicher vermeiden, wenn auch völlige Klarheit über die Zeitpunkte der Steuerentstehung (§ 9 ErbStG) von Vorerwerb und Nacherwerb besteht.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 28.3.2012 – II R 43/11

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