Leitsatz
Haben Eheleute ihre Kinder im Weg eines Berliner Testaments zu Schlusserben eingesetzt und vereinbaren diese mit dem überlebenden Ehegatten, jeweils gegen Zahlung einer erst mit dessen Tod fälligen Abfindung auf die Geltendmachung der Pflichtteile nach dem erstverstorbenen Ehegatten zu verzichten, können die Kinder beim Tod des überlebenden Ehegatten keine Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG aus dieser Vereinbarung abziehen. Die Abfindungsverpflichtungen stellten für den überlebenden Ehegatten keine wirtschaftliche Belastung dar.
Normenkette
§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG
Sachverhalt
Die beiden Kläger waren in dem Berliner Testament ihrer Eltern als Schlusserben eingesetzt worden. Sollte eines der Kinder beim Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil geltend machen, war es auch beim Tod des anderen Elternteils auf den Pflichtteil beschränkt.
Der Vater verstarb zuerst. Danach vereinbarten die Kläger mit der Mutter, auf die Geltendmachung ihrer Pflichtteile gegen Zahlung einer Abfindung von je 100.000 DM – fällig beim Tod der Mutter – zu verzichten.
Nach dem Tod der Mutter lehnten FA und FG (EFG 2005, 1550) ab, die Abfindungen als Nachlassverbindlichkeiten im Rahmen der ErbSt-Veranlagungen der Kläger zu berücksichtigen.
Entscheidung
Nach Ansicht des BFH kommen die Abfindungsverpflichtungen zwar grundsätzlich als Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Betracht; ihr Abzug scheitert aber daran, dass sie wegen der Fälligkeitsabrede für die Mutter keine wirtschaftliche Belastung darstellten.
Die korrespondierenden Ansprüche waren unter normalen Umständen gegen die Mutter nicht durchsetzbar.
Ein Vermögensverfall der Mutter, der einen Widerruf der Fälligkeitsabrede hätte ermöglichen können, wäre kein normaler Umstand und ist überdies bis zum Tod der Mutter nicht eingetreten.
Hinweis
Das gemeinschaftliche Testament, durch das sich Ehegatten gegenseitig als Erben und ihre Kinder als Schlusserben einsetzen (Berliner Testament, § 2269 Abs. 1 BGB), hat den Nachteil, dass die Kinder, denen nach dem Tod des überlebenden Elternteils der beiderseitige Nachlass zufällt, den Freibetrag aus § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG nur einmal in Anspruch nehmen können. Der Freibetrag, der ihnen bei gesetzlicher Erbfolge als Erben des erstverstorbenen Elternteils zugestanden hätte, geht verloren, ohne dass sich der Freibetrag des überlebenden Ehegatten erhöht. Dieser Nachteil wird durch § 27 ErbStG nur unzureichend ausgeglichen.
Ein Mittel, den Verlust des Freibetrags zu vermeiden, besteht in der Geltendmachung des Pflichtteils. Da dem Berliner Testament aber gerade der Wille der Ehegatten zugrunde liegt, ihr Vermögen bis zum Tod beider zusammenzuhalten, werden derartige Testamente vielfach mit einer sogenannten Pflichtteilssanktionsklausel versehen, wonach das Kind, das nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils seinen Pflichtteil geltend macht, auch beim Tod des überlebenden Elternteils auf den Pflichtteil gesetzt wird.
Bei einem Berliner Testament mit einer derartigen Klausel wird den Kindern empfohlen, mit dem überlebenden Elternteil einen Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils gegen Abfindung im Wert bis zur Höhe des Freibetrags zu vereinbaren. Da aber das Elternvermögen in der Hand des überlebenden Ehegatten beisammenbleiben muss, um nicht die Wirkung der Pflichtteilssanktionsklausel auszulösen, soll die Abfindung erst auf den Tod des überlebenden Elternteils fälliggestellt werden.
Bei dessen Tod stelle sie dann eine Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG dar. Bei nur einem Kind – und damit nur einem Schlusserben – vereinigten sich dann zwar Anspruch und Verbindlichkeit in dessen Person mit der Folge des Erlöschens; dies sei aber gem. § 10 Abs. 3 ErbStG unschädlich.
Sollte eine derartige Vereinbarung mit dem überlebenden Elternteil unterblieben sein, sei noch nicht alles verloren.
Vielmehr könnten die Kinder auch noch nach dem Tod des überlebenden Elternteils gegenüber sich als dessen Erben gegen Abfindung auf die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem vorverstorbenen Elternteil mit der Folge verzichten, dass bezüglich der Abfindungen abziehbare Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG entstünden (vgl. Muscheler in ZEV 2001, 377, 381).
Dem ist der BFH unter Hinweis auf eine seit dem ErbStG 1925 bis heute durchgängigen Rechtsprechung entgegengetreten, wonach der Abzug als Nachlassverbindlichkeit voraussetzt, dass die Verbindlichkeit rechtlich besteht und den Erblasser im Todeszeitpunkt wirtschaftlich belastet hat. Letzteres Erfordernis fehlt, wenn der Erblasser davon ausgehen konnte, die Verpflichtung unter normalen Umständen nicht selbst erfüllen zu müssen.
Dies ist nicht nur der Fall, wenn die Verbindlichkeit erst nach dem Tod des Erblassers begründet wird, sondern auch bei Fälligstellung des korrespondierenden Anspruchs auf den Tod des überlebenden Ehegatten. Die Frage einer Steuerumgehung gem. § 42 AO, die sich sonst insbesondere bei einer erst nach dem...