Rz. 28
Während die Vorschrift in Abs. 1 prinzipienorientiert ein die Konzernrechnungslegungspflicht auslösendes Mutter-Tochter-Verhältnis lediglich über die unbestimmten Rechtsbegriffe der Möglichkeit der unmittel- und mittelbaren Beherrschung postuliert, werden in Abs. 2 Tatbestände benannt, bei deren Zutreffen "stets" von einer Beherrschungsmöglichkeit auszugehen sei. DRS 19.18 bestätigt diese unwiderlegbare Auslegung der aufgeführten Tatbestände und sieht daher immer ein Mutter-Tochter-Verhältnis als gegeben an. Die Unwiderlegbarkeit eines beherrschenden Einflusses infolge einer vorliegenden Rechtsposition i. S. d. Nr. 1–4 bereitet aber insofern Probleme, als dass denkbar ist, dass zwei unterschiedlichen Unt verschiedene Rechte i. S. d. Abs. 2 zustehen und somit beide die Beherrschung hätten, was auch im DRS 19.7 für akzeptabel, notfalls als über § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB zu heilendes Problem angesehen wird. Dies würde aber Abs. 1 widersprechen, da eine Beherrschung eben nicht vorliegen kann, wenn ein anderes Unt bereits die Beherrschungsmöglichkeit besitzt. Zudem wird so § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB zur Widerlegungsnorm für eigentlich unwiderlegbare Tatbestände.
Unt A besitzt das Organbestellungsrecht gem. § 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB über das TU. Gleichzeitig hat aber Unt B eine Stimmrechtsmehrheit gem. § 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB an dem TU, die jedoch nicht ausreicht, um das Organbestellungsrecht von A zu kippen.
Die Frage der Beherrschungsbestimmung ist unter Rückgriff auf die grundlegende Normintention, die Konsolidierung bei vorliegender Möglichkeit zur dauerhaften Bestimmung der Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unt zur Nutzengewinnung, zu lösen. Demnach hat Unt A die Beherrschung über das TU, Unt B verfügt trotz Stimmrechtsmehrheit nicht über eine Beherrschungsmöglichkeit, da die Stimmrechtsmehrheit nicht dazu ausreicht, dem anderen Unt die Beherrschung i. S. d. Abs. 2 Nr. 2 zu entziehen.
Wäre die Beherrschung zwischen zwei unabhängigen Unt teilbar, läge höchstens ein GemeinschaftsUnt vor. Insofern sollte trotz der anderen Gesetzesformulierung und der Auslegung im DRS 19 nur von unwiderlegbaren Rechtspositionen ausgegangen werden, sofern die Grundvoraussetzung eines beherrschenden Einflusses gegeben ist.
Somit kann bei gleichzeitigem Vorliegen von Rechtspositionen i. S. d. Abs. 2 die Beherrschungsmöglichkeit nicht bei zwei verschiedenen Unt liegen, sodass jenes Merkmal vorrangig zu behandeln ist, das in dieser Konstellation den Ausschlag bei der Bestimmung der Finanz- und Geschäftspolitik gibt. Das "stets", welches letztlich aus der unglücklichen Formulierung der EU-RL resultiert, sollte bei der materiellen Auslegung der Vorschrift im Ergebnis ignoriert werden, da es gegen die Grundvoraussetzungen des Abs. 1 verstößt, denn DRS 19.16 macht Abs. 1 (und DRS 19.8) lediglich zu einem Ergänzungstatbestand für eine faktische Beherrschung, die im Abs. 2 nicht erfasst werden würde. Allerdings wird durch die Bestimmung eines Unt als TU über einen der Tatbestände nach Abs. 2 eine Berichtspflicht bei Nichteinbeziehung ausgelöst. Akzeptiert man das "stets" als rechtlich formale Auslegung, liegt wie bei dem § 290 Abs. 2 HGB in der Fassung vor dem BilMoG zunächst eine Beherrschungsmöglichkeit als Vermutung vor, die dann in § 296 HGB per Wahlrecht widerlegt werden kann. So wird § 296 Abs. 1 Satz 1 HGB nach DRS 19.81 zum Korrektiv für das bei dieser Sichtweise entstehende Problem bei Mehr-Mütter-Beziehungen. Dies dürfte zwar nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, da Abs. 1 eindeutig eine Beherrschungsmöglichkeit verlangt, dennoch sollte vor dem Hintergrund der Berichtspflichten bei Nichteinbeziehung nach § 296 Abs. 3 HGB (§ 296 Rz 48) der rechtlich formale Weg über das Wahlrecht des § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB beschritten werden.