Rz. 110
Die Unsicherheit bzgl. der Werthaltigkeit aktiver latenter Steuern hat den Gesetzgeber bewogen, lediglich ein Aktivierungswahlrecht für den Aktivüberhang vorzusehen. Insb. bei der Aktivierung von Vorteilen aus steuerlichen Verlustvorträgen zeigen die Erfahrungen aus den IFRS, dass bei der Bilanzierung häufig Fehler auftreten und der Nachweis der Wahrscheinlichkeit zukünftiger positiver steuerlicher Gewinne nicht geführt werden kann.
Aktive latente Steuern repräsentieren zukünftige Steuerentlastungen, die anfallen, wenn
- abzugsfähige temporäre Differenzen sich abbauen und der daraus resultierende steuerliche Verlust genutzt werden kann oder
- steuerliche Verlustvorträge mit künftigen positiven steuerlichen Einkommen verrechnet werden können.
Rz. 111
Für abzugsfähige temporäre Differenzen ist vom Gesetzgeber keine zeitliche Begrenzung für deren Aktivierung vorgesehen, während für die Aktivierung von Vorteilen aus steuerlichen Verlustvorträgen eine zeitliche Begrenzung von fünf Jahren zu beachten ist (Rz 49 ff.).
Daher betont der Gesetzgeber ausdrücklich, dass bei der Beurteilung der Werthaltigkeit von latenten Steueransprüchen das handelsrechtliche Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) zu beachten und der Ansatz aktiver latenter Steuern demgemäß sorgfältig zu prüfen ist.
Rz. 112
Ob mit dem Abstellen auf das handelsrechtliche Vorsichtsprinzip höhere Anforderungen an den Nachweis der Wahrscheinlichkeit zukünftiger positiver steuerpflichtiger Einkommen gestellt werden, als dies nach den IFRS erforderlich ist, wird nach der hier vertretenen Auffassung abgelehnt. Der nach IAS 12 anzuwendende Beurteilungsmaßstab mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % stellt in der Praxis wohl keine geringere Anforderung als das handelsrechtliche Vorsichtsprinzip dar, da sich derartige Wahrscheinlichkeiten nicht messen lassen. Die Auffassung, dass eine Aktivierung aktiver latenter Steuern mit dem Vorsichtsprinzip nur schwerlich zu vereinbaren ist, wird hier abgelehnt. Neben den an den Nachweis der Wahrscheinlichkeit der Nutzung dieser Differenzen zu stellenden Anforderungen hat der Gesetzgeber dem Vorsichtsprinzip durch die Ausschüttungs- und Abführungssperre (§ 268 Abs. 8 HGB) ausreichend Rechnung getragen.
Rz. 113
Die Wahrscheinlichkeitsüberlegungen über die zukünftige Nutzbarkeit aktiver latenter Steuern sind ausreichend zu dokumentieren. Dies gilt insb., wenn das Unt eine ausgeprägte Verlusthistorie aufweist und in den letzten Jahren keine positiven steuerpflichtigen Einkünfte (vor Verlustverrechnung) erzielt hat. Anhaltspunkte für hinreichende künftige zu versteuernde Einkünfte können bspw. sein:
- Eingang profitabler Aufträge, die in Folgejahren abzuwickeln sind,
- Veräußerung oder Stilllegung/Aufgabe defizitärer Geschäftsbereiche oder Standorte,
- Abschluss von Restrukturierungsmaßnahmen als Grundlage für nachhaltige Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen,
- steuerliche Verluste in Vorjahren aufgrund von Einmaleffekten, die für die Zukunft nicht mehr zu erwarten sind,
- zu versteuernde temporäre Differenzen, für die passive latente Steuern gebildet werden.
Rz. 114
Der letztgenannte Punkt führt dazu, dass die Werthaltigkeitsüberlegungen im Regelfall auf einen verbleibenden Aktivüberhang der latenten Steuern beschränkt werden können, für den im Übrigen das Aktivierungswahlrecht besteht (Rz 25). Ausnahmen von diesem Grundsatz können im Zusammenhang mit zu beachtenden steuerlichen Restriktionen (z. B. Mindestbesteuerung) auftreten (Rz 53).
Rz. 115
Die an den Nachweis der Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Nutzung zu stellenden Anforderungen setzen eine Steuerplanungsrechnung voraus, die in die allgemeine Unternehmensplanung eingebunden ist oder mind. auf dieser aufbaut. Da eine Aktivierung von Vorteilen aus steuerlichen Verlustvorträgen nur zulässig ist, soweit diese Vorteile in den auf den Abschlussstichtag folgenden fünf Jahren voraussichtlich realisiert werden, würde dies eine entsprechend fünfjährige Unternehmensplanung erfordern. Gerade in kleinen und mittleren Unt wird dies oftmals nicht vorhanden sein. In diesen Fällen ist ggf. für über die vorhandene Detailplanung (z. B. für das Folgejahr) hinausgehende Zeiträume eine sachgerechte und plausible Schätzung vorzunehmen.
Bei derartigen Schätzungen kommt dem handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip besondere Bedeutung zu, da mangels Detailplanung die Unsicherheiten höher sind. Dies gilt insb. bei Unt mit einer Verlusthistorie. Hier sind an den Nachweis der Werthaltigkeit besondere Anforderungen zu stellen. Das Vorliegen einer Unternehmensplanung mit positiven steuerlichen Ergebnissen bei unverändertem Geschäftsmodell ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht ausreichend. Vielmehr muss erkennbar sein, dass die verlustbringenden Ereignisse der Vergangenheit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr auftreten, durch bspw. Einstellung unrentabler Geschäftsbereiche/Produktlinien oder die Beendigung von Restrukturierungsmaßnahmen.