Rz. 79
Das vom Jahresabschluss zu vermittelnde, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage muss unter Beachtung der GoB erfolgen. Bereits § 243 Abs. 1 HGB fordert, dass der Jahresabschluss nach den GoB aufzustellen ist (§ 243 Rz 3 ff.); § 238 Abs. 1 HGB verlangt, dass diese für die Buchführung zu beachten sind (§ 238 Rz 34). Die in den Paragrafen des Handels- und Steuerrechts kodifizierten Regelungen können, weil sie prinzipienorientiert formuliert sind, die konkrete Handhabung der Rechnungslegung einzelner Sachverhalte in Unt nur in Grundzügen bestimmen. In der wirtschaftlichen Praxis existiert eine solche Fülle an differenzierten Problemen, dass der Gesetzgeber dieses Spektrum an Einzelproblemlagen nicht vollständig regeln kann und zur Erhaltung der notwendigen Anpassungsflexibilität an veränderte wirtschaftliche Lagen auch nicht vollständig regeln sollte. Die GoB umfassen daher kodifizierte Regelungen mit unbestimmten Rechtsbegriffen sowie rechtsnormergänzende Konkretisierungen zur Handhabung der verschiedenen praktisch auftretenden Rechnungslegungsprobleme. Es sind allgemein anerkannte Regeln über das Führen der Handelsbücher und das Erstellen des Jahresabschlusses des Unt. Die GoB stellen zwingende Rechtssätze dar, die, da sie nicht komplett gesetzlich kodifiziert sind, das Gesetz ergänzen und immer greifen, wo Gesetzeslücken auftreten bzw. spezifische Gesetzesvorschriften einer Auslegung bedürfen. Durch die gesetzliche Verweisung wird die den GoB zugrunde liegende Ordnungsvorstellung in den Rang einer verbindlichen Rechtsnorm gehoben.
Rz. 80
Für KapG und PersG ohne natürlichen Vollhafter wird in § 264 Abs. 2 HGB explizit formuliert, dass der Jahresabschluss unter Beachtung der GoB ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln hat. Damit kommt der tatsachengemäßen Darstellung (true and fair view) des Unt im Jahresabschluss keine übergeordnete Funktion zu (Rz 52). Vielmehr fungieren die GoB als übergeordneter Grundsatz, unabhängig von der Frage, ob damit ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild entsteht.
Rz. 81
Im Hinblick auf die Jahresabschlusserstellung können die GoB in Rahmen-, System-, Ansatz-, Definitions- und Kapitalerhaltungsgrundsätze untergliedert werden. Die Rahmengrundsätze legen die grundlegenden Anforderungen an eine aussagekräftige Abbildung des wirtschaftlichen Geschehens von Unt fest. Dazu zählen die Grundsätze der Wahrheit, der Klarheit und Übersichtlichkeit, der Vollständigkeit, der Vergleichbarkeit, der Wirtschaftlichkeit sowie das Bilanzstichtags- und Periodisierungsprinzip. Bei den Systemgrundsätzen handelt es sich um generelle Regeln für die anderen GoB. Diese können als Klammer zwischen den Jahresabschlusszwecken und den anderen GoB gesehen werden. Dazu zählen das Prinzip der Unternehmensfortführung, der Grundsatz der Pagatorik und der Grundsatz der Einzelbewertung.
Die Definitionsgrundsätze für den Jahreserfolg legen fest, wann die Ein- und Auszahlungen erfolgswirksam in der GuV oder erfolgsneutral in der Bilanz zu erfassen sind. Es wird zwischen zwei Ausprägungen (Realisationsprinzip sowie Grundsatz der Abgrenzung der Sache und der Zeit nach) unterschieden. Der Grundsatz der Kapitalerhaltung hängt mit dem Rechnungslegungszweck der Gewinnermittlung/Zahlungsbemessungsfunktion zusammen. Zu den Kapitalerhaltungsgrundsätzen zählen das Imparitäts- und das Vorsichtsprinzip (§ 252 Rz 97 ff.).
Insg. sind die GoB deutlich dynamischer als der prinzipienorientierte Gesetzestext. So beeinflusst die Rechtsprechung das theoretische Bilanz(rechts)verständnis und kann zu relativ kurzfristigen Änderungen der GoB führen. Ebenso werden steuerliche Änderungen, wie die Poolabschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter, Verlautbarungen des IDW, (Konzern-)Rechnungslegungsempfehlungen des DRSC oder des IASB, z. T. schnell als GoB übernommen.