Leitsatz
Geht ein volljähriges Kind, das die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erfüllt, einer Teilzeiterwerbstätigkeit von 20 Stunden in der Woche nach, besteht weiterhin eine typische Unterhaltssituation, die es rechtfertigt, für das Kind Kindergeld zu gewähren, sofern die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen. Die Höhe der von dem Kind erzielten Einkünfte und Bezüge ist für die Beurteilung, ob eine die Berücksichtigung als Kind ausschließende Vollzeiterwerbstätigkeit anzunehmen ist, nicht entscheidend.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 EStG
Sachverhalt
Die Tochter hatte im April ihr Studium abgebrochen und im September ein Ausbildungsdienstverhältnis begonnen. In der Zwischenzeit arbeitete sie in einem Teilzeitarbeitsverhältnis 20 Wochenstunden zu einem monatlichen Bruttoarbeitslohn von 2.000 DM.
Entscheidung
Da bei typisierender Betrachtung ein Arbeitsverhältnis zu 20 Wochenstunden nicht für den Lebensunterhalt ausreicht, befand sich die Tochter weiterhin in einer typischen Unterhaltssituation und war daher auch in der Übergangszeit zwischen den Ausbildungsabschnitten – trotz ihres verhältnismäßig hohen Arbeitslohns – als Kind zu berücksichtigen. Der BFH lässt ausdrücklich offen, ob eine typische Unterhaltssituation immer dann anzunehmen ist, solange das Arbeitsverhältnis drei Viertel der üblichen Arbeitszeit nicht übersteigt. Der Fall wurde an das FG zurückverwiesen. Dieses muss noch prüfen, ob nach Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrags und der Sozialversicherungsbeiträge bzw. weiterer nicht für den Lebensunterhalt der Tochter zur Verfügung stehender Beträge der Grenzbetrag überschritten ist.
Hinweis
Kinder im Alter zwischen 18 und 27 Jahren werden für Freibeträge bzw. Kindergeld insbesondere berücksichtigt, wenn sie für einen Beruf ausgebildet werden, sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchs?tens 4 Monaten befinden oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen können (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a–c EStG). Für jeden Kalendermonat, in dem diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ermäßigt sich der Grenzbetrag der schädlichen Einkünfte und Bezüge um ein Zwölftel. Einkünfte und Bezüge, die auf diese Kalendermonate entfallen, bleiben außer Ansatz.
Geht das Kind in den betreffenden Monaten einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach, ist es für die entsprechenden vollen Monate nicht zu berücksichtigen, da es in dieser Zeit typischerweise an einer Unterhaltspflicht der Eltern fehlt. Anders ist es bei einer Teilzeitbeschäftigung des Kindes, während der typischerweise die Unterhaltsverpflichtung der Eltern fortbesteht.
Der BFH hebt in dieser Entscheidung besonders hervor, dass für die Berücksichtigung eines Kindes nicht auf die konkrete Unterhaltsverpflichtung abzustellen ist, sondern da?rauf, ob typischerweise eine Unterhaltssituation besteht. Da eine Teilzeitbeschäftigung typischerweise nicht ausreicht, um den üblichen Lebensunterhalt zu sichern, besteht daher bei einem solchen Beschäftigungsverhältnis weiterhin eine typische Unterhaltssituation gegenüber den Eltern, die es rechtfertigt, das Kind auch für diese Zeit für das Kindergeld (bzw. Freibeträge) zu berücksichtigen.
Entscheidend ist daher nur, ob ein Vollzeitarbeitsverhältnis oder eine Teilzeitbeschäftigung vorliegt, die typischerweise nicht für den Lebensunterhalt ausreicht. Auf die Höhe der von dem teilzeitbeschäftigten Kind erzielten Einkünfte kommt es – wegen der typisierenden Betrachtung – nicht an.
Das bedeutet, dass ein in Teilzeit beschäftigtes Kind auch dann zu berücksichtigen ist, wenn es verhältnismäßig hohe Einkünfte aus dieser Tätigkeit erzielt. Die Folge davon ist, dass auch die – hohen – aus der Teilzeitbeschäftigung erzielten Einkünfte in die Berechnung, ob der Grenzbetrag überschritten ist, einzubeziehen sind. Daher bleibt nur bei niedrigen Einkünften die Kindergeldberechtigung erhalten. Bei hohen Einkünften aus einer Teilzeitbeschäftigung entfällt der Kindergeldanspruch für das ganze Jahr.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.2.2006, III R 82/03