Leitsatz
Bei der Ermittlung des Aufgabegewinns einer Arztpraxis ist auch der Praxisanteil zu berücksichtigen, der sich gemäß § 946 BGB im (Mit-)Eigentum der Ehefrau befand, da dem Ehegatten, der die gesamten Herstellungskosten der für seinen Betrieb genutzten Räume getragen hat, bei Beendigung der Nutzung ein Ausgleichsanspruch gemäß §§ 951, 812 Abs. 1 BGB zusteht.
Sachverhalt
M und F sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute, die je zu Hälfe Eigentümer eines im Jahr 1973 - auf einem im Miteigentum der Eheleute stehenden Grundstück - errichteten Gebäudes sind. Alleiniger Träger der Herstellungskosten war M, der das Gebäude bis zum 31.3.1993 teilweise für seine Arztpraxis nutzte. Die Gewinnermittlung erfolgte gemäß § 4 Abs. 3 EStG. Der Anteil von F am Gebäude wurde ihm für den Betrieb der Arztpraxis zunächst unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Der übrige Gebäudeteil diente Wohnzwecken. In den Einkommensteuererklärungen bis 1991 setzte M die von ihm getragenen laufenden Hauskosten und die Gebäudeabschreibung (AfA) in Höhe eines betrieblichen Anteils von 32 % bei seinen Gewinnermittlungen als Betriebsausgabe an. Mit Wirkung vom 1.1.1992 schlossen die Eheleute einen Mietvertrag über den der Ehefrau gehörenden Miteigentumsanteil an den Praxisräumen. In den Gewinnermittlungen der Jahre 1992 und 1993 setzte M nur noch 16 % der Hausherstellungskosten und der AfA an und berücksichtigte zudem die Mietzahlungen an F von 700 DM monatlich als Betriebsausgaben. Bei F wurden entsprechende Mieteinnahmen erklärt und als Werbungskosten 16 % der anteiligen Hauskosten und die AfA in Abzug gebracht. Im Jahr 1993 wurde die Praxis veräußert.
Entscheidung
Bei der Aufgabe einer freiberuflichen Tätigkeit berechnet sich der Aufgabegewinn gemäß § 16 Abs. 2 und 3 i.V.m. § 18 Abs. 3 EStG. Danach ist der Gewinn als Differenz zwischen dem Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten und dem Wert des Betriebsvermögens zu ermitteln. Werden Wirtschaftgüter nicht veräußert, ist der gemeine Wert im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe anzusetzen (§ 16 Abs. 3 S. 3 EStG).
Gegenstand des Betriebsvermögens können Wirtschaftgüter aller Art sein. Wirtschaftsgüter sind handelsrechtlich (§§ 238 Abs. 1, 240 Abs. 1, 242 HGB) und steuerrechtlich (§ 39 Abs. 1 AO) grundsätzlich dem - zivilrechtlichen - Eigentümer zuzurechnen. Darüber hinaus ist ein Wirtschaftsgut demjenigen zuzurechnen, der ohne rechtlicher Eigentümer zu sein, die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, sog. wirtschaftlicher Eigentümer (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO). Gegenstand der Zurechnung ist bei Bauten auf fremdem Grund und Boden das Gebäude.
M war wirtschaftlicher Miteigentümer des hälftigen Praxisteils geworden, da ihm bei Beendigung der Nutzung der Praxisräume ein Ausgleichsanspruch gegenüber seiner Ehefrau gemäß §§ 951, 812 BGB zustand. Mit der Bebauung des Grundstücks mit dem als Wohnung und Arztpraxis genutzten Gebäude wurde dieses zweifellos wesentlicher Bestandteil des Grundstücks i.S.d. § 94 Abs. 1 BGB, so dass sich gemäß § 946 BGB das Eigentum an dem Grundstück auf das Eigentum am Gebäude erstreckte. F, die Miteigentümerin des Grundstücks zur Hälfte war, ist folglich durch die Bebauung zivilrechtlich auch hälftige Miteigentümerin des gesamten Gebäudes und mithin auch des Praxisanteils geworden. Derjenige, der infolge der Vorschriften der §§ 946 bis 950 BGB einen Rechtsverlust erleidet, kann von demjenigen, zu dessen Gunsten die Rechtsänderung eintritt, eine Vergütung in Geld nach den Vorschriften über die ungerechtfertige Bereicherung fordern (§ 951 Abs. 1 BGB). Rechtsgrund für die Leistung des M (Übernahme der Baukosten) war mithin die Vereinbarung der unentgeltlichen Nutzungsüberlassung der Praxisräume (§ 598 BGB, Leihe). Dieser Rechtsgrund ist mit Beendigung der Nutzung entfallen (§ 812 Abs. 1 S. 2 BGB), so dass M ab diesem Zeitpunkt ein Ausgleichsanspruch gemäß §§ 951, 812 BGB zustand. Zu Recht hat das Finanzamt folglich das bei Aufgabe der Praxis in das Privatvermögen entnommene Nutzungsrecht bei der Ermittlung des Aufgabegewinns berücksichtigt.
Hinweis
Der gemäß § 951 BGB entstehende Anspruch ist grundsätzlich abdingbar, d.h. er kann ausgeschlossen oder auch modifiziert werden (Palandt, 58. Aufl., Kommentar zum BGB, § 951 Anm 1). Dies muss jedoch ausdrücklich - möglichst in einem schriftlich fixierten Vertrag - geschehen.
Link zur Entscheidung
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.10.2003, 6 K 1994/00