Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Ein Auslandsaufenthalt im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses wird regelmäßig nur dann von einem für das Vorliegen einer Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) hinreichenden theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet, wenn dieser wöchentlich zehn Unterrichtsstunden umfasst. Ein Geschichtskurs im Umfang von zweieinhalb Zeitstunden je Woche erfüllt diese Anforderungen weder in inhaltlicher noch in zeitlicher Hinsicht.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
Sachverhalt
Der Kläger bezog für seine Tochter M bis zu deren Reifeprüfung im Jahr 1998 Kindergeld. M bewarb sich für die Zeit ab Januar 2000 für eine Ausbildung zur "Hotelfachfrau/Hotelkauffrau" und nahm ab Januar 1999 für zwölf Monate eine Au-pair-Stelle in den USA an, "um ihre Sprachkenntnisse zu erweitern und das Land und die Menschen kennen zu lernen".
Sie nahm von Februar bis Mai an jeweils zwei Wochenstunden an einer Vorlesung über amerikanische Geschichte teil. Den Studienkurs bestand sie aufgrund der bereits im Inland erworbenen guten Sprachkenntnisse. Danach musste sie den Aufenthalt in den USA abbrechen.
Die Familienkasse lehnte die Weitergewährung von Kindergeld ab. Das FG gab der Klage unter anderem mit dem Hinweis statt, dass M wegen ihrer im Inland erworbenen Sprachkenntnisse auf eine systematische Sprachunterweisung habe verzichten können.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf. Der weite Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung umfasse auch einen Sprachunterricht im Ausland, soweit dieser theoretisch-systematisch fundiert sei. Eine gründliche Sprachausbildung erfordere einen Sprachunterricht von grundsätzlich zehn Unterrichtsstunden wöchentlich.
Beide Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt. Inhaltlich nicht, weil der Kurs über amerikanische Geschichte keine systematische Sprachausbildung vermittle, und zeitlich nicht, weil die erforderliche Unterrichtszeit nicht erreicht sei. Eine Ausnahme sei auch nicht deshalb zu machen, weil M offenbar bereits im Inland hinreichende Sprachkenntnisse erworben habe, um den Kurs erfolgreich abzuschließen.
Hinweis
Ein Au-pair-Aufenthalt im Ausland kann ein Ausbildungsverhältnis i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG sein, wenn es sich nicht nur um einen schlichten Aufenthalt in einer Gastfamilie handelt. Für viele Berufe gilt der Erfahrungssatz, dass fremdsprachliche Fertigkeiten grundsätzlich die Chancen zur Erlangung eines Ausbildungsplatzes sowie für das berufliche Fortkommen erhöhen.
Die Sprachaufenthalte im Ausland müssen aber entweder mit anerkannten Formen der Berufsausbildung verbunden sein (z.B. dem Besuch eines Colleges oder einer Universität) oder zumindest von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet sein, der nach seinem Inhalt und seinem Umfang – grundsätzlich zehn Unterrichtsstunden wöchentlich – den Schluss auf eine hinreichend gründliche Sprachausbildung rechtfertigt.
Diese vom VI. Senat des BFH entwickelten Grundsätze hat der VIII. Senat übernommen; sie stimmen im Wesentlichen mit denjenigen des BSG zum BKKG überein (vgl. Wickenhagen/Krebs, BKKG, § 2 RZ 108). Zu beachten ist jedoch, dass bei den Au-pair-Aufenthalten im Ausland der erforderliche Bezug zu dem angestrebten Beruf allein durch den Unterricht in der Fremdsprache hergestellt wird und deshalb auch bei einem hohen fremdsprachlichen Niveau des Kindes zu Beginn des Auslandsaufenthalts keine Veranlassung besteht, in diesem Fall an die inhaltlichen und zeitlichen Voraussetzungen des Unterrichts geringere Anforderungen zu stellen. In dieser Feststellung liegt die Bedeutung des vorliegenden Urteils.
Der BFH hat sich in diesem Urteil nicht zu der weiteren Voraussetzung des Kindergeldanspruchs – der Bedürftigkeit des Kindes (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) – geäußert, obwohl gerade diese Voraussetzung bei Au-pair-Aufenthalten vielfach nicht erfüllt ist. Denn die Gasteltern gewähren regelmäßig freie Unterkunft und Verpflegung und ein wöchentliches Taschengeld. Diese Leistungen sind aber als Sachbezüge des Kindes zu erfassen (so die Verwaltung in ihrer Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs, BStBI I 2000, 639 TZ 63.4.2.7 und 63.4.2.10). Der BFH wird sich mit dieser Frage im Revisionsverfahren VIII R 74/01 gegen das Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 7.3.2001, 6K 1806/99 (EFG 2001, 1059) zu befassen haben.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.2.2002, VIII R 83/00