Leitsatz
Die selbstständige Betätigung eines Kindes – hier: als Kosmetikerin – schließt seine Beschäftigungslosigkeit i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG aus, wenn sie nicht nur gelegentlich mindestens 15 Stunden wöchentlich umfasst. Dies gilt auch dann, wenn die aus der Tätigkeit erzielten Einkünfte die Grenze für sog. geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (§ 8 SGB IV) nicht übersteigen.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 119 Abs. 1, Abs. 3 SGB III, § 8 SGB IV
Sachverhalt
Die Familienkasse hatte der Klägerin Kindergeld für die im Mai 1987 geborene Tochter auch nach deren 18. Geburtstag gezahlt. Die Tochter war vom 1.11.2005 bis zum 16.8.2006 als Kosmetikerin selbstständig tätig. Aus dieser Tätigkeit erklärte sie für die Zeit vom 1.11. bis 31.12.2005 gewerbliche Einkünfte in Höhe von ./. 762 EUR und für den 1.1. bis 16.8.2006 in Höhe von 1.732 EUR, die sich aus einem laufenden Gewinn von 832 EUR und einem Veräußerungsgewinn aus Warenverkauf in Höhe von 900 EUR zusammensetzten.
Nachdem die Familienkasse von der Tätigkeit erfahren hatte, hob sie die Kindergeldfestsetzung auf und forderte das für November 2005 bis Juli 2006 gezahlte Kindergeld zurück. Den Einspruch wies sie als unbegründet zurück, weil die Tochter selbstständig erwerbstätig gewesen und nicht bei einer Agentur für Arbeit oder einem anderen zuständigen Leistungsträger als arbeitsuchend gemeldet gewesen sei.
Das Thüringer FG wies die Klage ab (Urteil vom 19.3.2013, 1 K 757/09, Haufe-Index 7044028). Es entschied, die Tochter habe infolge ihrer gewerblichen Tätigkeit in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden.
Entscheidung
Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Im zweiten Rechtsgang ist zu klären, welchen zeitlichen Umfang die Tätigkeit der Tochter hatte und ob sie – wie von ihr behauptet – als Arbeitsuchende gemeldet war.
Hinweis
1. Kinder werden zwischen der Vollendung des 18. und des 21. Lebensjahrs nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG berücksichtigt, wenn sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen und als Arbeitsuchende gemeldet sind.
2. Die Klägerin hatte argumentiert, unter einem Beschäftigungsverhältnis seien nach dem Wortsinn nur nicht selbstständige Beschäftigungsverhältnisse zu verstehen. Dem ist der BFH nicht gefolgt: Gesetzgebungsgeschichte und Normzweck sprechen für ein sozialrechtliches Verständnis des Beschäftigungsverhältnisses. Sozialrechtlich wird die Beschäftigungslosigkeit durch die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit nicht ausgeschlossen, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt (§ 119 Abs. 1 und Abs. 3 SGB III a.F., jetzt § 138 Abs. 3 SGB III).
3. Die Höhe der aus der selbstständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte ist dagegen ohne Bedeutung. Die Familienkassen gehen zwar davon aus, dass eine geringfügige nicht selbstständige Beschäftigung gemäß § 8 SGB IV oder § 8a SGB IV (Monatsentgelt im Streitzeitraum bis zu 400 EUR, derzeit bis zu 450 EUR) der Berücksichtigung nicht entgegenstehe (DA zum Kindergeld nach dem EStG, BStBl I 2014, 922 unter A 13 Abs. 1 Satz 2). Das lässt sich aber nicht auf selbstständige Betätigungen übertragen, weil geringfügige Arbeitsverhältnisse mit einer geringen Arbeitszeit einhergehen, selbstständige Tätigkeiten aber insbesondere in der Anlaufphase trotz geringer Einkünfte häufig einen erheblichen zeitlichen Einsatz erfordern. Der BFH hat sich nicht zu hohen Einkünften bei geringem Zeitaufwand geäußert; diese dürften aber ebenfalls für die Beurteilung der Beschäftigungslosigkeit ohne Bedeutung sein.
4. Der BFH hat offengelassen, wie die Arbeitszeit zu berechnen ist: Gehört dazu nur die tatsächliche Arbeitszeit des selbstständig tätigen Kindes oder auch eine (wie zu ermittelnde?) "Bereitschaftszeit", in der das Kind auf die Besuche oder Anrufe von Auftraggebern wartet?
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.12.2014 – III R 9/14