Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
4.1 Sachverhalt
Rechtsanwalt R hatte in 2010 (erstmalige Nutzung zum 1.7.2011) ein Doppelhaus gebaut, das er zur Hälfte für seine unternehmerische Tätigkeit als Rechtsanwalt und zur anderen Hälfte für private Wohnzwecke nutzte. R hatte 2010/2011 das Gebäude in vollem Umfang seinem Unternehmen zugeordnet, dies gegenüber dem Finanzamt dokumentiert und die ihm bei dem Bau des Hauses berechneten Umsatzsteuerbeträge von 120.000 EUR in vollem Umfang als Vorsteuer abgezogen. Die Eigennutzung der Hälfte des Gebäudes hat R seitdem ordnungsgemäß nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG besteuert.
Nach Heirat in 2016 und der Geburt von Zwillingen im Sommer 2018 möchte R das Gebäude in Zukunft ausschließlich für private Wohnzwecke verwenden, er verlegt deshalb zum 31.12.2018 seine Rechtsanwaltskanzlei in Mieträume. Eine weitere unternehmerische Verwendung des Doppelhauses schließt R zutreffend aus.
4.2 Fragestellung
R möchte wissen, mit welchen umsatzsteuerrechtlichen Folgen er zum 31.12.2018 zu rechnen hat.
Welche Änderungen würden sich ergeben, wenn das Gebäude erst aufgrund eines in 2012 eingereichten Bauantrags errichtet worden wäre?
4.3 Lösung
4.3.1 Errichtung des Gebäudes in 2011
Da R sein Haus nicht mehr für unternehmerische Zwecke nutzt und auch nicht in (naher) Zukunft wieder für unternehmerische Zwecke verwenden möchte, ist das Gebäude zwingend aus dem Unternehmen zu entnehmen. Die Entnahme ist nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar, aber nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfrei.
Damit hat sich innerhalb des Vorsteuerberichtigungszeitraums von 10 Jahren (1.7.2011 bis 30.6.2021) eine Verwendungsänderung ergeben. Dabei ist nach § 15a Abs. 8 und Abs. 9 UStG zu unterstellen, dass das Gebäude vom Zeitpunkt der Entnahme bis zum Ende des Berichtigungszeitraums für steuerfreie Zwecke verwendet wurde. Da von dem insgesamt 120 Monate umfassenden Berichtigungszeitraum vom 1.7.2011 bis zum 31.12.2018 erst 90 Monate vergangen sind, müssen noch 30 Monate berichtigt werden.
Der Berichtigungsbetrag beläuft sich damit auf (120.000 EUR "Umsatzsteuerbetrag" × 30/120 "zu berichtigende Restzeit" × ./. 100 % "Verwendungsänderung" =) ./. 30.000 EUR.
R muss in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung Dezember 2018 einen Vorsteuerberichtigungsbetrag i. H. v. 30.000 EUR zu seinen Lasten anmelden und in der gesetzlichen Frist an sein Finanzamt abführen.
Entnahme als Gestaltungsmöglichkeit für Altobjekte bei steigenden Steuersätzen
Da die Vorsteuerberichtigung immer nur den damaligen, zum Zeitpunkt der Herstellung oder Anschaffung maßgeblichen – Steuerbetrag betrifft, kann die Entnahme insbesondere als Rettungsanker bei stark steigenden Steuersätzen gesehen werden, da die Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe immer den jeweils aktuellen Steuersatz betrifft. Da bisher aber der Steuersatz konstant geblieben ist, wird dies bis Ende der möglichen Berichtigungszeiträume 2021/2022 wohl nicht mehr relevant werden.
4.3.2 Errichtung des Gebäudes aufgrund eines in 2012 gestellten Bauantrags
Ist das Gebäude erst aufgrund eines in 2012 gestellten Bauantrags errichtet worden, wäre R bei Bau aus allen Eingangsrechnungen wegen der Vorsteuerabzugsbeschränkung des § 15 Abs. 1b UStG nur zur Hälfte zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen (60.000 EUR). Er hätte dennoch das Gebäude insgesamt seinem Unternehmen zuordnen können, wenn er dies bis zum 31.5. des auf den jeweiligen Leistungsbezug folgenden Jahres dem Finanzamt dokumentiert hätte.
Wenn er dann das Objekt wegen einer vollständigen nichtunternehmerischen Verwendung aus dem Unternehmen nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG entnommen hätte, würde dies ebenfalls zu einem steuerbaren und steuerfreien Umsatz führen. Die Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 8 und Abs. 9 UStG könnte sich aber nur auf den jeweils vorgenommenen Vorsteuerabzug (hier 60.000 EUR) beziehen. Abhängig davon, wann das Gebäude erstmals verwendet worden ist und wann die Entnahme erfolgt, müssen dann entsprechende Anteile der 60.000 EUR an das Finanzamt zurückgezahlt werden.