Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob sich die Beteiligungsgrenze nach der im Jahr der Veräußerung geltenden Wesentlichkeitsgrenze gem. § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 richtet – und damit zurückwirkt – oder ob der Beteiligungsbegriff veranlagungszeitraumbezogen auszulegen ist, indem das Tatbestandsmerkmal "innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt" in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der in diesem Veranlagungszeitraum jeweils geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen ist.
Normenkette
§ 17 Abs. 1, § 52 Abs. 1 EStG 1999
Sachverhalt
K war wie oben beschrieben an einer B-AG beteiligt und veräußerte seine Beteiligung im Dezember 1999 mit erheblichem Gewinn. Das FA ermittelte Wertsteigerungen vom 1.3.1999 bis zum Dezember 1999 und erfasste so einen Veräußerungsgewinn von 8,3 Mio. DM. Der Aussetzungsantrag blieb beim FG erfolglos (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 1.8.2011, 6 V 407/11).
Entscheidung
Der BFH setzte die Vollziehung des ESt-Bescheids für 1999 aus, und zwar insoweit, als der ESt-Bescheid die auf den Veräußerungsgewinn von 8,3 Mio, DM entfallende Einkommensteuer betrifft.
Hinweis
1. Die Entscheidung betrifft einen Fall, in dem jemand aktuell – nach der Rechtslage des jeweiligen Veranlagungszeitraums – nie wesentlich beteiligt war und dessen Veräußerungsgewinn trotzdem der Besteuerung nach § 17 EStG unterworfen wurde. Ks Beteiligung an einer AG betrug bis zum Dezember 1997 insgesamt 13,5 % und danach 9,2 %. Er veräußerte seine Beteiligung im Dezember 1999.
2. Hier ist zunächst evident, dass die Wertsteigerungen, die K bis zum 31.3.1999 nach dem als Gesetz geltenden Beschluss des BVerfG vom 7.7.2010 (BStBl II 2011, 86; Rückwirkung im Steuerrecht II) erzielte, nicht steuerbar sind, es also nur um solche Gewinne ging, die nach dem 31.3.1999 entstanden. Legt man das BFH-Urteil vom 1.3.2005, VIII R 25/02 (BFH/NV 2005, 960, BFH/PR 2005, 255, BStBl II 2005, 436) zugrunde, müsste K den Gewinn nach § 17 Abs. 1 EStG versteuern; denn er war 1997 nach der Gesetzeslage im Zeitpunkt der Veräußerung (1999: dort galt die Wesentlichkeitsgrenze von mindestens 10 %) innerhalb der letzten 5 Jahre wesentlich beteiligt gewesen. Indes hat das BVerfG in "Rückwirkung im Steuerrecht II" das Urteil des BFH aufgehoben. Deshalb musste der BFH nicht nur den Streitfall, sondern auch die Rechtsfrage erneut beantworten.
3. In diesem Aussetzungsverfahren geht es nur darum, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des den Veräußerungsgewinn erfassenden Steuerbescheides bestehen – und derartige Zweifel bejaht der BFH: Sieht man den Wortlaut des Gesetzes ganz unbefangen, so ist die Fassung des § 17 Abs. 1 EStG (Wesentlichkeitsgrenze von mindestens 10 %) nach § 52 Abs. 1 EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Daraus kann man im Gegenschluss folgern, dass diese Wesentlichkeitsgrenze zuvor (also in den Jahren 1998 und früher) nicht gilt. Wenn nun § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG verlangt, der Steuerpflichtige müsse innerhalb der letzten 5 Jahre am Kapital wesentlich beteiligt gewesen sein, so ist eigentlich klar, dass K diese Voraussetzung nicht erfüllt, war er doch 1997 zu 13,5 % und nicht etwa über 25 % beteiligt gewesen.
4. Der BFH entnimmt der Entscheidung des BVerfG "Rückwirkung im Steuerrecht II" überdies eine gewisse Verstärkung des Wortlautarguments. Es kann nicht entscheidend sein, ob der Steuerpflichtige allein aus der Retrospektive dieses Zeitraums früher einmal wesentlich und damit steuerbar beteiligt war, ohne es aber während des Zuwachses an Leistungsfähigkeit je gewesen zu sein. Schließlich kann es doch wohl rückwirkend nicht auf eine Beteiligungsgrenze ankommen, die der Steuerpflichtige allein in dem Zeitraum verwirklicht hat, in dem ein Wertzuwachs nicht steuerbar war.
5. Ernstliche Zweifel äußerte der BFH darüber hinaus an der Art und Weise der Gewinnermittlung aufgrund des BMF-Schreibens im BStBl I 2011, 16 und der dort angenommenen linearen Wertentwicklung der Beteiligung. Natürlich eröffnet die Verwaltung dem Steuerpflichtigen, abweichende Bewertungen vorzubringen. Doch fragt es sich dann, wer unter Berücksichtigung des BFH-Urteils vom 25.11.2010, IX R 47/10 (BFH/NV 2011, 887, BStBl II 2011, 744) die Feststellungslast trägt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 24.2.2012 – IX B 146/11