Leitsatz
1. Zur Inhaltsbestimmung eines Verwaltungsakts ist zwar der erklärte Wille der Behörde zu erfassen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften; allerdings ist ein in seinem Ausspruch eindeutig an einen bestimmten Adressaten gerichteter Bescheid insofern keiner Auslegung zugänglich.
2. Eine Außenprüfung, die aufgrund einer gegenüber dem Steuerpflichtigen nicht wirksam gewordenen Prüfungsanordnung durchgeführt wird, kann den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen.
3. Ist Festsetzungsverjährung eingetreten, ermöglicht es der Grundsatz von Treu und Glauben nicht, dass zu Lasten des Steuerpflichtigen ein erloschener Steueranspruch wieder auflebt; dies gilt unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der Verjährung "vorwerfbar" ist oder nicht.
Normenkette
§ 119 Abs. 1, § 169 Abs. 1 Satz 1, § 171 Abs. 4, § 47 AO, § 133, § 242 BGB
Sachverhalt
Eine GmbH betrieb in den Jahren 2004 bis 2007 (Streitjahre) eine Klinik. Durch Ausgliederungs- und Übernahmevertrag vom 22.8.2007 übertrug sie ihr gesamtes Vermögen gegen Gewährung einer Kommanditbeteiligung an die A GmbH & Co. KG (KG).
Mit Schreiben vom 24.6.2009 informierte das FA die KG u.a. darüber, dass es davon ausgehe, dass diese als Rechtsnachfolgerin der GmbH anzusehen sei. Am 4.12.2009 ordnete es unter Verwendung der Steuernummer der GmbH eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO"bei der Firma A GmbH & Co. KG als Rechtsnachfolgerin der B GmbH" an. Die Prüfungsanordnung erging "an Sie als Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten (§ 183 Abs. 1 AO)". Die Außenprüfung sollte sich u.a. auf die Körperschaftsteuer und die Umsatzsteuer der Jahre 2003 bis 2006 erstrecken.
Am 16.8.2010 erließ das FA unter derselben Adressatenbezeichnung und Verwendung der Steuernummer der Klägerin eine "geänderte Prüfungsanordnung", nunmehr betreffend die Zeiträume 2004 bis 2007.
In seinem Bericht vom 29.11.2013 über die Außenprüfung bei der GmbH traf der Prüfer steuererhöhende Feststellungen. In der Schlussbesprechung vom 2.7.2013 wurde insoweit Einvernehmen erzielt. Das FA erließ am 18.3.2014 Änderungsbescheide gegenüber der GmbH.
Die Einsprüche, mit denen die GmbH Festsetzungsverjährung geltend machte, wies das FA als unbegründet zurück. Die Vorinstanz (FG München, Urteil vom 27.2.2018, 2 K 33/16, Haufe-Index 11718701) wies die Klage ab. Das FG legte die Prüfungsanordnung als gegenüber der GmbH ergangen aus und führte zur Begründung ergänzend den Grundsatz von Treu und Glauben an.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück. Entgegen der Auffassung des FG sei die Prüfungsanordnung gegenüber der KG ergangen. Der Grundsatz von Treu und Glauben könne den Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht verhindern. Allerdings muss das FG noch prüfen, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt und daher die verlängerte Festsetzungsfrist anzuwenden ist.
Hinweis
1. Der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO kommt in Betriebsprüfung-Fällen oftmals eine wichtige Bedeutung zu. Da durch den Inhalt der Prüfungsanordnung der Umfang der Außenprüfung bestimmt wird (§ 196 AO), tritt eine Ablaufhemmung nur ein, wenn eine förmliche Prüfungsanordnung erlassen wurde und tatsächlich Prüfungshandlungen für die in der Prüfungsanordnung genannten Steuerarten und Besteuerungs- oder Feststellungszeiträume vorgenommen wurden (vgl. BFH, Urteil vom 26.4.2017, I R 76/15, BStBl II 2017, 1159, Rz. 21, m.w.N.). Eine Außenprüfung, die aufgrund einer unwirksamen Prüfungsanordnung durchgeführt wird, kann den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen (BFH, Urteil vom 13.10.2016, IV R 20/14, BFH/NV 2017, 475, Rz. 38 f., m.w.N.).
2. Dem steht der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen; denn er kann nicht dazu führen, dass ein nach § 47 AO erloschener Steueranspruch aus dem Steuerschuldverhältnis wieder auflebt (vgl. BFH-Urteil vom 22.1.2013, IX R 1/12, BStBl II 2013, 663, Rz. 21; Urteil vom 1.12.2015, VII R 44/14, BFH/NV 2016, 881, Rz. 23).
3. Bei einer Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG) geht der übertragende Rechtsträger nicht unter; er bleibt Steuerschuldner und es tritt keine Gesamtrechtsnachfolge ein (vgl. BFH, Urteil vom 7.8.2002, I R 99/2000, BStBl II 2003, 835, Rz. 17 f.). Eine Prüfungsanordnung, die sich auf Zeiträume bis zur Ausgliederung bezieht, ist daher an den ausgliedernden Rechtsträger zu richten (Tz. 9.3 AEAO zu § 197 AO). Wird stattdessen eine Prüfungsanordnung wegen Körperschaftsteuer an eine KG als (vermeintliche) Rechtsnachfolgerin einer GmbH adressiert und angegeben, dass diese "mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten (§ 183 Abs. 1 AO)" ergehe, kann die Prüfungsanordnung nicht dahingehend ausgelegt werden, dass Inhaltadressatin die noch fortbestehende GmbH sei.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.11.2020 – XI R 11/18