Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen.
Sachverhalt
Fraglich ist, ob die Einsprüche vom 19.7.2018 gegen die Einkommensteuerbescheide 2015 und 2016 vom 13.6.2018, die an den damaligen Steuerberater der Kläger adressiert waren, fristgerecht eingelegt wurden. Im Einspruchsverfahren wurde vorgetragen, dass die Bescheide dem Steuerberater erst am 25.6.2018 zugegangen seien.
Nach der erfolglosen Durchführung des Einspruchsverfahrens trugen die Kläger im Klageverfahren vor, der Zugang der Steuerbescheide (erst) am 25.6.2018 ließe sich durch die angebrachten Eingangsstempel nachweisen. Aufgrund der Paraphe am Stempel sei davon auszugehen, dass der Posteingangsstempel vom Steuerberater angebracht worden sei. Ein Posteingangsbuch werde nicht geführt. Die entsprechenden Briefumschläge könnten nicht vorgelegt werden, da sie nach dem Öffnen der Post entsorgt worden seien.
Entscheidung
Das FG hat die Klage mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Einkommensteuerbescheide bereits bestandskräftig seien, da nicht fristgerecht Einspruch erhoben worden sei.
Bestreite ein Steuerpflichtiger nicht den Zugang eines Verwaltungsakts überhaupt, sondern dessen Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 AO, so habe er dies im Rahmen des Möglichen zu substantiieren. Hierzu müsse er Tatsachen vortragen, die den Schluss zuließen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang, binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post, vorgelegen habe. Hierzu reiche ein abweichender Eingangsstempel nicht aus.
Den Klägern sei es nicht gelungen, die gesetzliche Zugangsvermutung zu erschüttern. Die Zeugenaussage des damaligen Steuerberaters der Kläger sei nicht geeignet, Zweifel des Gerichts am Zugang der Bescheide innerhalb der Dreitagesfrist zu wecken, denn der Steuerberater sei wenig glaubwürdig. Dies sei vor allem deshalb der Fall, weil er bei seiner Aussage ersichtlich bemüht gewesen sei, insbesondere den Eindruck zu erwecken, dass ihm bei der Einspruchseinlegung kein Fehler unterlaufen sei und er auch sonst fehlerfrei arbeite.
Soweit er vorgetragen habe, das Führen eines Posteingangsbuchs sowie eines Fristenkontroll- und eines Postausgangsbuchs sei zur Fristwahrung nicht nötig, weil es ihm schon immer ausgereicht habe, wenn er die Bescheide geordnet in einem Stapel auf dem Schreibtisch abgelegt habe und so den Fristablauf sofort erkennen könne, verkenne er offensichtlich seine Organisationspflichten als Steuerberater. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sei ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung die unerlässliche Voraussetzung einer ordnungsmäßigen Büroorganisation zur Wahrung von Fristen.
Im Übrigen habe der Steuerberater verkannt, dass eine Obliegenheit zur Beweisvorsorge bestehe, wenn der Adressat einen atypisch langen Postlauf anhand des Poststempels oder des Bescheiddatums habe erkennen können.
Hinweis
An die Substantiierung eines Zugangs außerhalb der Dreitagesfiktion sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, damit die Regelung über die objektive Beweislast, die nach dem Gesetz die Finanzverwaltungsbehörde trifft, nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen umgekehrt wird. Den Steuerpflichtigen trifft bei behauptetem überlangem Postlauf allerdings die Obliegenheit zur Beweisvorsorge, diesen Umstand umgehend dem Finanzamt anzuzeigen. Zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Dreitagesfrist reicht ein abweichender Eingangsvermerk nicht aus. Zu einem substantiierten, auf einen verspäteten Zugang hindeutenden Tatsachenvortrag kann etwa die Vorlage des betreffenden Briefumschlags des übersendeten Verwaltungsakts dienen.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil v. 30.03.2022, 12 K 758/20