Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Für ein mit der Betreuungspauschale abgegoltenes Notrufsystem, das innerhalb einer Wohnung im Rahmen des "Betreuten Wohnens" Hilfeleistung rund um die Uhr sicherstellt, kann die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG in Anspruch genommen werden.
Normenkette
§ 35a Abs. 2 Satz 1 EStG
Sachverhalt
K bewohnte eine 3-Zimmer-Wohnung in einer Seniorenresidenz im Rahmen des "Betreuten Wohnens". K hatte mit dem Betreiber der Seniorenresidenz einen Betreuungsvertrag abgeschlossen und dafür eine jährliche Betreuungspauschale (1.785 EUR) zu zahlen. Der Betreiber hatte verschiedene beratende und kulturelle Leistungen zu erbringen sowie insbesondere auch ein 24-Stunden-Notrufsystem einschließlich Nachtwache und Fachpersonal für Soforthilfe im Notfall zur Verfügung zu stellen; die Pfleger hatten dafür jeweils "Piepser" bei sich, um auf Notrufe sofort reagieren zu können. 80 % der Betreuungspauschale entfielen auf das Notrufsystem. K machte mit seiner Steuererklärung 1.357 EUR (76 %) als Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen nach § 35a EStG geltend. Das FA berücksichtigte die Kosten für das Notrufsystem nicht. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage mit ausführlich begründetem Urteil statt (FG Nürnberg, Urteil vom 13.2.2014, 6 K 1026/13, Haufe-Index 6805877, EFG 2014, 1312).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG, wie in den Praxis-Hinweisen näher erläutert.
Hinweis
§ 35a EStG subventioniert haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, haushaltsnahe Dienstleistungen sowie Handwerkerleistungen. Hier ging es um eine haushaltsnahe Dienstleistung i.S.d. § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG, die in einem inländischen Haushalt erbracht wird. Um 20 % dieser Aufwendungen, höchstens aber um 4.000 EUR, kann der Steuerpflichtige seine Einkommensteuer mindern. Entscheidende Tatbestandsmerkmale sind insoweit der Haushalt sowie die haushaltsnahe Dienstleistung, die in diesem Haushalt zu erbringen ist.
1. Zu diesen Merkmalen besteht mittlerweile eine ständige Rechtsprechung des BFH, die auf die Vorstellungen des Gesetzgebers bei Einführung der Norm (BT-Drucks. 15/91, 19) zurückgreift: Haushalt ist die Wirtschaftsführung einer oder mehrerer (in einer Familie) zusammenlebender Personen. Das Wirtschaften im Haushalt (Haushaltsführung) umfasst Tätigkeiten, die für die Haushaltung oder die Haushaltsmitglieder erbracht werden, insbesondere der Einkauf von Verbrauchsgütern, die Mahlzeitenzubereitung, aber auch Wäschepflege, Reinigung und Pflege der Räume, des Gartens und auch Pflege, Versorgung und Betreuung von Kindern, alten und kranken Haushaltsangehörigen.
Auf Grundlage des Merkmals Haushalt ist damit zugleich der Subventionsgegenstand umschrieben, nämlich die "haushaltsnahe Dienstleistung". Das sind Leistungen, die eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung haben oder damit in Zusammenhang stehen, insbesondere also Tätigkeiten, die gewöhnlich durch die Haushaltsmitglieder oder dort Beschäftigte erledigt werden.
2. Gemessen an diesen Voraussetzungen beurteilte der BFH die Bereitstellung des Notrufsystems als haushaltsnahe Dienstleistung. Denn damit war für den Bewohner sichergestellt, im Bedarfsfalle aus seinem Haushalt heraus Hilfe rufen zu können. Haushaltsnah war diese Dienstleistung, weil eine solche Rufbereitschaft ansonsten typischerweise die in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebende Familien- oder Haushaltsangehörige leisten.
Schließlich wird die Leistung auch "in" einem Haushalt erbracht; das verlangt § 35 Abs. 4 Satz 1 EStG. Der Lohnsteuersenat bestimmt insoweit den räumlichen Bereich des Haushalts "räumlich-funktional"; diesen Begriff hat er in seinen Urteilen zum Winterdienst auf öffentlichen Gehwegen als haushaltsnahe Dienstleistung sowie zum Hausanschluss als steuerbegünstigte Handwerkerleistung entwickelt (BFH, Urteile vom 20.3.2014, VI R 55/12, BFH/NV 2014, 1147, BFH/PR 2014, 307 und VI R 56/12, BFH/NV 2014, 1148, BFH/PR 2014, 308). Beim hier vorliegenden Notrufsystem realisiert sich der Leistungserfolg, nämlich die Hilfeleistung im Notfall, ebenfalls im Haushalt, nämlich in der Wohnung des Steuerpflichtigen. Unerheblich ist insoweit, dass die Wohnung in einer Seniorenresidenz lag; auch dort kann ein Haushalt geführt werden. Das hatte der BFH schon früher zum Wohnstift entschieden (BFH, Urteil vom 29.1.2009, VI R 28/08, BFH/NV 2009, 823, BFH/PR 2009, 212). 80 % der Betreuungspauschale entfielen auf das Notrufsystem; daher konnte K 76 % davon als Steuerermäßigung geltend machen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 3.9.2015 – VI R 18/14