Leitsatz

Der Betreuungsfreibetrag in § 32 Abs. 6 S. 1 EStG 2001 erfasst auch erwerbsbedingten Betreuungsbedarf.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 6 S. 1, 3, § 9 Abs. 1 S. 1, 2, § 12 Nr. 1 EStG 2001, Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Die Klägerin wurde gemeinsam mit ihrem Ehemann zur ESt veranlagt. Zu ihrem Haushalt gehörten zwei damals sechs und dreizehn Jahre alte Kinder. Die Klägerin war in Teilzeit, ihr Ehemann in Vollzeit jeweils nicht selbstständig tätig. Mit der ESt-Erklärung für 2001 machten sie Kinderbetreuungskosten für Kindertagesstätte und Hort für ihr sechsjähriges Kind i.H.v. 4 372 DM als Werbungskosten aus nicht selbstständiger Arbeit geltend.

Das FA ließ die geltend gemachten Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten unberücksichtigt, weil mit dem in den Kinderfreibeträgen i.H.v. insgesamt 19 872 DM enthaltenen Betreuungsfreibetrag (6 048 DM) auch Aufwendungen für Kinderbetreuung abgegolten seien. Das FG (FG Köln, Urteil vom 01.08.2006, 8 K 4006/03, Haufe-Index 1625301, EFG 2006, 1900) entsprach dagegen dem Klagebegehren.

 

Entscheidung

Der BFH hob aus den unter Praxishinweisen dargestellten Gründen die Vorentscheidung des FG auf und wies die Klage ab.

 

Hinweis

Der Besprechungsfall entstand aus der speziellen Auslegung des § 32 Abs. 6 S. 1 EStG 2001 durch das FG. Das hatte den Betreuungsfreibetrag in verfassungskonformer Auslegung dahin ergänzt, dass § 32 Abs. 6 S. 1 EStG 2001 keine Aufwendungen für erwerbsbedingte Kinderbetreuung erfasse und diese daher als Werbungskosten abziehbar seien. Der BFH folgte dem nicht. Er stützte sich dazu – wie auch das FG – auf die beiden Grundsatzentscheidungen des BVerfG vom November 1998 und März 2005 zum Kinderexistenzminimum und zu den Kinderbetreuungskosten.

1. Schon zur Rechtslage 1999 war entschieden, dass Kinderbetreuungskosten als stets privat mitveranlasste Aufwendungen keine Werbungskosten sind (BFH, Urteil vom 12.04.2007, VI R 42/03, BFH/NV 2007, 1312, m.w.N.). Dies gilt auch für das hier streitige Jahr 2001. § 32 Abs. 6 S. 1 EStG erfasst auch erwerbsbedingten Betreuungsbedarf. Denn nach der Entscheidung des BVerfG vom 10.11.1998 (BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) gehört der Betreuungsbedarf zum notwendigen Bestandteil des familiären Existenzminimums; der ist von Verfassungs wegen zwar steuerfrei zu belassen, verfassungsrechtlich ist aber nicht geboten, dies durch einen Abzug als Werbungskosten zu gewährleisten. Der Beschluss des BVerfG zu den Kinderbetreuungskosten betonte vielmehr, dass die einkommensteuerrechtliche Verschonung des Betreuungsbedarfs unabhängig von der Art der Betreuung und von konkreten Aufwendungen ausgestaltet sein soll oder jedenfalls kann und die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit auch in einem alle kinderbezogenen Entlastungen einbeziehenden Grundtatbestand zu erfassen ist.

2. Auch dem Beschluss des BVerfG vom 16.03.2005 (BFH/NV 2005, Beilage 4, 356) ließ sich nichts für die Auslegung des FG entnehmen. Erwerbsbedingt notwendige Kinderbetreuungskosten müssen danach zwar grundsätzlich in realitätsgerechter Höhe abziehbar sein. Das BVerfG hielt aber ausdrücklich fest, dass es dem Gesetzgeber freistehe, erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten den BA/Wk oder den privaten Aufwendungen zuzuordnen.

3. Im Hinblick darauf und nachdem das BVerfG 1998 im Fall des Untätigbleibens des Gesetzgebersangeordnet hatte, dass ab 01.01.2000 ein Betrag von 4 000 DM für das erste und 2 000 DM für jedes weitere Kind einkommensmindernd für Kinderbetreuungskosten abzuziehen wäre, bestanden gegen § 32 Abs. 6 S. 1 EStG 2001 keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Übrigen waren im Streitfall als Betreuungsfreibetrag 6 048 DM berücksichtigt, tatsächlich für Betreuung aber nur Aufwendungen i.H.v. 4 372 DM entstanden. So war jedenfalls auch dem in der Entscheidung des BVerfG vom März 2005 betonten Grundsatz genügt, Kinderbetreuungskosten in realitätsgerechter Höhe abzuziehen. Art. 2 der RL 76/207/EWG des Rats vom 09.02.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen (Amtsbl. EG Nr. L 39, 40) ergab nichts anderes (dazu BFH, Urteil vom 12.04.2007, VI R 42/03, BFH/NV 2007, 1312).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.04.2009 – VI R 60/06

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