Leitsatz
Betriebsärztliche Leistungen, die ein Unternehmer gegenüber einem Arbeitgeber erbringt und die darin bestehen, die Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten sowie die Untersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ASiG), sind – soweit die Leistungen nicht auf Einstellungsuntersuchungen entfallen – gem. § 4 Nr. 14 UStG 1993 steuerfrei.
Normenkette
§ 4 Nr. 14, § 4 Nr. 16 UStG, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b, c, g der 6. EG-RL, § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 19 ASiG
Sachverhalt
Ein Verein übernahm gegenüber Arbeitgebern u.a. sämtliche betriebsärztlichen Aufgaben nach dem ASiG. Das FA war der Auffassung, der Verein sei keine Einrichtung ärztlicher Diagnostik etc. (§ 4 Nr. 16 Buchst. c UStG) und § 4 Nr. 14 UStG nicht einschlägig, weil es eine einheitliche Leistung sei, die auch Einstellungsuntersuchungen umfasse.
Die Klage hatte – mit Ausnahme von Einstellungsuntersuchungen – im Wesentlichen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA zurück. Die vom Arbeitgeber durchzuführenden Untersuchungen haben das Ziel, Gesundheitsgefährdungen des Arbeitnehmers möglichst frühzeitig zu erkennen und den Arbeitnehmer vor arbeitsbedingten Gesundheitsschäden zu bewahren; diese Untersuchungen werden – so auch das Bundesarbeitsgericht – auch überwiegend im Interesse des Arbeitnehmers durchgeführt.
Das FG hatte festgestellt, dass die in § 3 Nrn. 1 bis 4 ASiG aufgezählten Leistungen in dem vorgelegten Mustervertrag einzeln aufgeschlüsselt und auch einzeln abgerechnet worden seien und Leistungen einzeln zugeordnet werden konnten. Von dieser – für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellung – ausgehend, waren die Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 UStG – mit Ausnahme der Einstellungsuntersuchungen – erfüllt. Eine einheitliche (auch andere Leistungen umfassende) Leistung lag unter diesen Voraussetzungen nicht vor.
Hinweis
Arbeitgeber müssen nach dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) betriebsärztliche Pflichten erfüllen (arbeitsmedizinische Beurteilung und Beratung, Erfassung und Auswertung der Untersuchungsergebnisse). Erfüllt ein überbetrieblicher Dienst die Aufgabe, war fraglich, ob und inwieweit dessen Leistungen umsatzsteuerfrei sind.
1.§ 4 Nr. 14 Satz 1 UStG befreit "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)".
§ 4 Nr. 16 UStG befreit unter weiteren Voraussetzungen "die mit dem Betrieb der Krankenhäuser etc. eng verbundenen Umsätze".
Für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs von § 4 Nr. 14 und von § 4 Nr. 16 UStG kommt es – das ist inzwischen als Folge der EuGH-Rechtsprechung ständige Rechtsprechung – weniger auf die Art der Leistung als vielmehr auf den Ort ihrer Erbringung an. Bei Leistungen außerhalb von Krankenhäusern oder vergleichbaren Einrichtungen ist (nur) § 4 Nr. 14 UStG einschlägig; befreit sind danach Heilbehandlungen, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort außerhalb eines Krankenhauses erbracht werden.
2. Für betriebärztliche Leistungen kommt also nur § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG in Betracht. Diese Befreiung umfasst – bei richtlinienkonformer Auslegung – nur Heilbehandlungen, d.h. Tätigkeiten, die zum Zweck der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen für bestimmte Patienten ausgeführt werden.
Auch vorbeugende Untersuchungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, sind von der Steuerbefreiung erfasst.
3. Eine steuerfreie Heilbehandlung setzt aber voraus, dass ihr Hauptziel der Schutz der Gesundheit ist. Es genügt nicht, dass Methoden angewandt werden, die auch bei Heilbehandlungen eingesetzt werden und die auch der gesundheitlichen Prophylaxe dienen können – wie z.B. bei Einstellungsuntersuchungen, die in erster Linie dem Arbeitgeber eine Entscheidungsfindung ermöglichen sollen. Die vom Arbeitgeber veranlassten regelmäßigen ärztlichen Kontrollen erfüllen dagegen die Bedingungen dieser Steuerbefreiungsregelung, wenn diese Kontrollen in erster Linie der Krankheitsvorbeugung und -erkennung sowie der Beobachtung des Gesundheitszustands der Arbeitnehmer dienen. Dass solche ärztlichen Kontrollen auch den Eigeninteressen der Arbeitgeber dienen könnten, schließt nicht aus, dass Hauptzweck dieser Kontrollen der Gesundheitsschutz ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.7.2006, V R 7/05