Leitsatz

1. Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 führt dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (Anschluss an BFH, Urteil vom 4. Februar 2016, III R 17/13, BFHE 253, 134, BStBl II 2016, 612).

2. Auch wenn der anspruchsberechtigte Elternteil den nicht anspruchsberechtigten Elternteil bevollmächtigt, den Kindergeldanspruch geltend zu ­machen, wird Kindergeld nicht gegenüber dem Bevollmächtigten, sondern nur gegenüber dem anspruchsberechtigten Elternteil festgesetzt.

3. Bei mehreren Berechtigten (Eltern) ist das Kindergeld an denjenigen zu zahlen, in dessen Haushalt das Kind aufgenommen ist, auch wenn die Berechtigten zivilrechtlich etwas anderes vereinbart haben. Durch zivilrechtliche Vereinbarungen, auch wenn sie durch gerichtlichen Vergleich bestätigt werden, kann § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht außer Kraft gesetzt werden (Bestätigung der Rechtsprechung).

4. Die Abtretung erfasst nicht die gesamte Rechtsstellung des Kindergeldberechtigten. Übertragen werden kann nur der Zahlungsanspruch im Auszahlungsverfahren, nicht die Antragsberechtigung im Festsetzungsverfahren (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

§ 62 Abs. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG, § 46 AO, Art. 67 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004, Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009

 

Sachverhalt

Der Kläger ist deutscher Staatsbürger, der im Inland lebt und Leistungen nach dem SGB II bezieht. Seine 2007 geborene Tochter lebt im Haushalt der von dem Kläger dauernd getrennt lebenden Mutter in Litauen. Die Mutter ist litauische Staatsangehörige und war nicht erwerbstätig. Nachdem die Familienkasse zunächst Kindergeld für A festgesetzt hatte, hob sie die Festsetzung mit Bescheid vom Dezember 2011 ab Januar 2012 auf, da der Mutter ein vorrangiger Anspruch auf Kindergeld zustehe. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Der dagegen eingelegten Klage gab das Finanzgericht statt (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.4.2015, 10 K 10044/12, Haufe-Index 8028439).

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und wies die Klage ab, da die Mutter vorrangig anspruchsberechtigt sei.

 

Hinweis

1. Im Nachgang zum EuGH-Urteil Trapkowski (EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501) hat eine Person gemäß Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 Anspruch auf Kindergeld nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats auch für Familienangehörige, die zwar in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, die aber so behandelt werden, als wohnten sie im zuständigen Mitgliedstaat. Denn nach der EuGH-Rechtsprechung ist die Situation der gesamten Familie in der Weise zu berücksichtigen, als würden alle Beteiligten unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen.

2. Diese Fiktion führt dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, wie der BFH bereits entschieden hat (BFH, Urteil vom 4.2.2016, III R 17/13, BFH/NV 2016).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.8.2016 – V R 19/15

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